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Zur Psychologie des Paroxysmaltriebes

Hans Jörg Ringger

 

(Die ersten vier Seiten finden Sie im Schluss weil die nur schwierige theoretische Fragen  behandeln. Editor Forum).

 

 

Die vier Affekttendenzen

 

Normalität, Störung und Erkrankung im Affektbereich

 

Wir versuchen, die vier gegensätzlichen Affekterregungen als Affekt- Energien,

 als "Lebensquellen", zu beschreiben, die das emotionale Erleben tragen und

bedrängen. Wir benennen sie mit den Begriffen, mit denen wir die alltäglichen

 affektartigen Erregungen des Kindes vom ersten Lebensjahr an bezeichnen:

 

  • Schreien als Wut und Weinen, als Mitleid-erregen und Mitleid-

empfinden für die gegensätzlichen "epileptiformen" Affekttendenzen;

  • Jubel als das In-Freude-erblickt­-Werden und Sich-geliebt- und geschätzt-

Wissen und Scheu, Scham und Verweigerung des Gesehen-Werdens für

die "hysteriformen" Affekttendenzen.

 

Wir betrachten diese Affekterregungen als die "ursprünglichen", die aufs engste miteinander verbunden sind und die sich im Laufe der Entwicklung durch Entgegensetzungen und Verbindungen unterein­ander ebenso wie durch Verbindungen mit Vital-Triebstrebungen und Ich-tendenzen zu einer unabsehbaren Vielfalt von Emotionen und Affekterregungen erweitern.

 Die Erweiterungen des emotionalen Erlebens bleiben immer auf die vier ursprünglichen Affekterregungen als Energiequellen zurückbezogen. Diese "bewirken" das ekstatische Ergriffensein (in Wut, Mitleid, Jubel und Verweigerung) und ent­reissen die Person dem Für-sich- und Bei-sich-selber-Sein und verset­zen sie in befreiender oder beängstigender, in freudiger oder bedrüc­kender Weise in ein Sein mit andern.

Wir benennen die vier "ursprünglichen" Affektenergien, ihre Stö­rungen und schliesslich ihre pathologischen Erscheinungsweisen mit je verschiedenen Begriffen:

 

Normalität

Die vier ursprünglichen gegensätzlichen Affekterregungen sind:

 

Im Faktor (e):

Die Affekterregung Aufruhr durch Protest und Revolte und die "groben " Affekterregungen als Reaktion auf Schmerz und Pein (-e); Weinen, Mitleiderregen, Mitleidempfinden und Mitleidagieren (Helfen, Retten) als Drang nach Schutz und Rettung vor Schmerz und Pein (+e). Beide Male können die Reaktionen auf Schmerz und Pein direkt vom Subjekt selber oder indirekt, durch Identifizierung mit leidenden Objekten empfunden werden.

Das Bedürfnisziel(e) ist der Drang nach BEFRIEDUNG, Sich-be­friedet-Wissen, nach Schutz und Rettung vor vermeidbarem Schmerz und das Verlangen nach Rücksichtnahme auf unsere Angst-, Schmerz­ und Aggressionstoleranz bei unvermeidbarem Schmerz. Es sind die zwei gegensätzlichen Affekttendenzen: Weinen als Mitleiderregen (+e) und der Aufruhr als Protest, das Ausschreien von Schmerz und Pein in der Wut und im Hass, in Neid und Eifersucht, bei Zorn- und Rache­gefühlen (-e). Der Gerechtigkeitssinn entwickelt sich im Wechsel zwischen Auflehnung, Protest und Leiden und Weinen, in der Auf­lehnung gegen die Verursacher von Schmerz und Pein, durch Haltge­bieten, durch "Wunden-Schlagen" oder im Wiedergutmachen; in der Rücksichtnahme auf Schmerz- und Angsttoleranz, im Zufügen und

 

Zumuten von Schmerz und Pein.

 

Im Faktor (hy):

Die Affekterregungen auf das Erblickt-Werden, die "zart en, eroti­schen" Affekterregungen: Das Begehren nach Gesehen-, Geliebt-, und Bewundertwerden (+hy); die Scheu und Verweigerung, um auf der inneren Bühne, der Bühne der inneren Zuschauer das Sich-geliebt ­und geschätzt-Wissen zu retten (-hy). In der Scham und in der Scheu werden wir auf diese Innenwelt-Bühne, dieses Erblickt werden von in­neren Zuschauern, zurückgerufen. Das Bedürfnisziel (hy) ist der Drang nach Geliebt- und Geschätzt sich-Wissen durch das, was man ist, hat und kann. Im Wechsel zwi­schen Zurückhaltung und Sich-Zeigen, im Auftreten (sich auf der Bühne zeigen) wie im Verbergen, im geduldigen Mit-sich-allein-Sein und "Lernen" und "Oben", in der Vorbereitung eines Festes, in der Vor-Freude wie im Jubel, ganz vorne, allein oder mit andern auf der Bühne stehen, entwickelt sich der Sinn für Schicklichkeit und Ge­schick-haben (das Geliebt-Sein als Sich-geschätzt-Wissen).

 

Im Bedürfnisdrang nach Schutz und Rettung durch Befriedet wer­den und Sich-befriedet-Wissen geht es um Selbst- und Lebenserhal­tung durch gewährte oder erzwungene Rücksichtnahme auf die je­dem Menschen gesetzten Grenzen, Angst und Schmerz und Aufruhr zu ertragen. - Im Bedürfnisdrang, durch freudiges Erblickt-Werden Sich-geliebt und -geschätzt-Wissen geht es um Lebenssteigerung, um jene "Plätze" auf der Bühne des Lebens, von denen R. M. Rilke sagt, "wo man einmal irgendwo vorne gestanden hat, wo die Bewegung am grössten ist". In diesem Drang nach freudigem Gesehen-, Begrüsst-, Empfangen-Werden entwickeln sich Dankbarkeitsgefühle und Gefühle der Besorgnis um solches Begrüsst-Werden durch die, die wir lieben oder geliebt haben.

 

Im Affektvektor dreht das Denken in sonderbarer Weise um die schwierige Aufgabe, den Gegensatz von Leben und Tod zu denken: als Lebenssteigerung im Auftreten auf die Bühnen des Lebens und der Welt und in der Abwendung und Bewältigung der Gefahr von Lebensvernichtung, wobei deren Bewältigung als Lebensstimulanz im Retten, Helfen, im Aufruhr und Protest erfahren wird.

 

 

Die vier "ursprünglichen" (normalen) gegensätzlichen Affekterre­gungen sind:

 

(e+) Leiden-Weinen-Mitleid-

hy+) Sichzeigen, Glänzen, Erstrahlen -

 

Erregen, Mitleidempfinden,

Jubel (weil gesehen, begehrt, geliebt, bewundert, geehrt)

 

 

Wiedergutmachungs

Bedürfnis,

 

"Heilen von Wunden"

 

 

(e-) Auflehnung, Protest, Aufruhr und:

(hy-) Verbergen, Zurückhaltung, -

 

 

Verweigerung,

 

 

Neid, Eifersucht, Wut,

Taktgefühl, Scham und

Hass, Zorn, Rache

Scheu

 

"Schlagen von Wunden"

 

 

 

Gestörte Affektenergien

 

Das Zusammenspiel (die Entgegensetzung sowohl wie das Einander-­sich-Fügen) der vier gegensätzlichen Affektenergien ist gestört. Im Test erscheinen einzelne Faktorreaktionen oder Verbindungen von Faktorreaktionen (Vektorbilder) in stereotyper Form, oder Faktoren und Vektorbilder sind durch extreme Variabilität und Gegensätzlich­keit gekennzeichnet. Sie erscheinen aber noch nicht in krankheits­bildtypischer Weise mit bestimmten Trieb- und Ichtendenzen verbun­den.

Ein anderes Kennzeichen beruht im ständigen Vorliegen dersel­ben Affekttendenz im Vordergrund- und im Hintergrundprofil; z. B. ständig (e+) oder (e + hy-) im VGP und EKP.

 

I.  Unfähigkeit (Unwillig­keit) zu Protest und Aufruhr.

II. Unfähigkeit (Unwillig­keit) zur Wiedergut­machung.

III.Unfähigkeit (Unwillig­keit) bei sich Scham ­oder

Scheu­empfindun­gen zuzulas­sen.

IV.Unfähigkeit (Unwillig­keit) sich zu zeigen.

 

I.

(e+) Schuld-, Gewissens-, Verletzungs angst. -

III.

(hy+) need to be admired

 

 

Exhibition, bluff

 

 

 

 

 

 

prahlerei

 

 

 

II.

(e-) Unbewusste Todeswünsche

IV.

(hy-) Verheimlichung

 

oder

Verstellung

 

exzessive Erregung von groben -Affekten

Strafangst

 

 

Die STÖRUNGEN im Affektleben beruhen in erster Linie in der Aus­schaltung oder Unterdrückung der gegensätzlichen Affekttendenz. Die Person fühlt sich nicht gedrängt wiedergutzumachen. Warum auch! Sie hat so viel Hass, Neid und Wut und Vorwurf aufgestaut, dass sie gar kein Mitleid oder Sorgegefühl für den Betroffenen, den Lei­denden oder Klagenden haben kann. Je stärker die Vorwurfs- und Anklagegefühle sind (e-, p-), desto unwahrscheinlicher wird jedes Mitempfinden, Partizipieren mit dem Objekt. Ebenso können der "Pazifist" und der "Gutmütige" sich nicht zu Protest und gewaltsa­mer Auflehnung oder zum Schmerz verursachenden "Nein" ent­schliessen. Die Angst vor der bewirkten Enttäuschung, dem Leiden oder Geschrei lähmt sie im voraus. Der Geltungsbedürftige will nur ja nicht zurückstehen. Im Rampenlicht zu stehen, rücksichtslos und jede Gelegenheit ergreifend, die andern auf die Seite geschoben zu haben und ganz allein vorne zu stehen, ist ihm lebenswerte Ekstase. Er weiss nichts von der machtvollen Erregung in der Zurückhaltung oder im Warten, vom Sich-Aufsparen für zugemessene Weisen des Vornestehen oder eines gemeinschaftlichen Vornestehens oder von der Lust im Sich- Verschenken für das Erstrahlen und Erscheinen des Bewunderungswlirdigen durch andere. Bei Verheimlichung, Verstel­lung und Strafangst wagt man nicht zu zeigen, was man ist, hat oder kann, denkt, getan hat oder tun möchte, weil man nicht den Mut hat, die Sache, die Handlung oder die Meinung vor andern zu vertreten. Bei der Ausschaltung und Unterdrückung der gegensätzlichen Affekterregung wirken spezifische Ängste:

 

Bei der Faktortendenz

(+e): die Angst, andere zu verletzen oder zu töten, wodurch sie böse und gefährlich werden könnten, oder die Angst, sie könnten traurig werden, uns verlassen oder sterben

(-e): die Angst, unterdrückt zu werden, zu kurz zu kommen oder aus­genützt zu werden, der Rivale werde uns das Liebesobjekt rau­ben, die Angst, angegriffen oder getötet zu werden. (Diese Ängste stehen im Zusammenhang mit den Erregungen der gro­ben Affekte wie Wut, Neid usw.)

(+hy): die Angst, unbeachtet zu sein, übergangen, vergessen zu werden, nicht mehr der Bevorzugte, der Auserwählte, der Erste zu sein.

(-hy): Die Angst, ausgelacht, verachtet, blossgestellt, verurteilt, kritisiert, missverstanden zu werden.

                                        

Das erkrankte Affekterleben

 

Es entsteht durch Ausschaltung bestimmter Affekttendenzen und durch Koppelung der verbleibenden mit bestimmten Ich- und Trieb­tendenzen (Krankheitssyndrome). Die Störung erscheint nach unver­merkter Stauung von Erregungen in plötzlicher, explosionsartiger Entladung derselben. Diese sollen die Person "vor äusseren und inne­ren Gefahren schützen".

 

 

(e+) Phobische Ängste, Wieder gutmachung

(hy+) Bewegungssturm-

 

vermeintlicher Schuld,

symptome (um das

 

Strafbedürfnis

Geliebt- oder

 

(Sich selber Wunden schlagen),

Geschätzt werden

 

Total identifizierung

zu erreichen

 

 

als Versöhnung mit dem

 

 

gehassten oder Tod gewünschten Liebesobjekt

 

(e-) Unkontrollierte Tötungs-

(hy-) Immobilisierungs-

 

und Verletzungsimpulse.

Symptome (Irreale

 

"Totschläger alls groben

Phantasiewelt, Flucht

 

Affekten"

in die Welt der "Lügen",

 

 

um sich geliebt oder

 

 

geschätzt zu wissen)

 

 

Es handelt sich im pathologischen Bereich um sonderbare Konflikt­lösungen, um scheinbare Befriedungserlebnisse und Ergatterung von Liebesbeweisen. Aber eben nur so kann (unter den gegebenen inne­ren und äusseren Umständen) das Geliebt- und Gerettet-Werden, nur

so - in einer für den Normalen zumeist unverständlichen Weise ­können die Liebe und die Befriedung aufrechterhalten oder wieder­gefunden werden. (Die krankmachenden Scheinlösungen)

 

Zusammenfassung

 

Bei den epileptiformen Affekttendenzen handelt es sich um Erre­gungen gegensätzlicher Art, die immer mit dem Erleben von Schmerz und Pein verbunden sind, entweder in der Form von Hilflosigkeit, von Hilfs- (Rettungs-) bedürftigkeit, sich äussernd in Weinen und Schreien, in Leiden und im Mitleiderregen oder in der Form von Er­regung von groben Affekten, deren Entladung Schmerz und Pein aus­zulöschen oder zu vermindern vermögen und den Schmerz und Pein­verursacher unschädlich machen sollen.

 

 

Bei den hysteriformen Affekten handelt es sich um ein Erregt-Wer­den auf ein mögliches oder stattgefundenes Erblickt- bzw. Gesehen­ Werden hin, entweder in der Form von Jubel und Erstrahlen auf der Bühne des Lebens und der Welt oder in der Form von Schamgefüh­len, von Scheu, in der Form von Verweigerung, sich jetzt, hier oder vor diesen Zuschauern zu zeigen, in der Entscheidung, sich nicht blossstellen zu wollen, in der hartnäckigen Verweigerung, ein Geheim­nis auszuplaudern, in der Entschlossenheit, eigenen Überzeugungen nicht zuwiderzuhandeln, sich nicht durch möglichen Applaus verfüh­ren zu lassen.

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Zur Psychologie des Faktors (e)

 

Wir charakterisierten die Affekttendenz (e+) mit den Stichworten Wei­nen, Leiden, Mitleiderregen, Mitleidempfinden und Wiedergutma­chungsbedürfnis. Einerseits wollen wir damit die im Mitleid vorlie­gende Affekterregung in ihrem uns anfallenden und überfallenden Charakter ins Zentrum der Tendenz (+e) stellen, andererseits lehnen wir uns mit dies an Begriffen an die von M. Klein vertretene "Wieder­gutmachungslehre" und an die von

D. W. Winnicott vorgetragene Lehre von der Entwicklung der "Sorgegefühle um die Objekte" an. Für beide Autoren sind die sich entwickelnden Mitleidsempfindungen und die Sorgegefühle um die Objekte entscheidende Faktoren für die Entwicklung der Objektbeziehungen und für die Über-Ich Bildung.

 

Das Leiden und Weinen, das Um-Hilfe-Rufen als Schutz vor dem Sich-wehrlos-ausgeliefert-Fühlen, der Drang, sich gegen Schmerz und Pein durch Hilferufe, vielleicht durch Bitten und Betteln, durch Wei­nen, Klagen und Anklagen (-p) zu wehren und dann das Übergehen von Weinen und Schreien zum Wütend-Werden und schliesslich zum Hass sind Erscheinungen von Primäraffekten. In Wut und Weinen ("psychische Hilflosigkeit") liegen "die triebhaften Wurzeln des ethischen Gewissens". Nur auf die Urszenerie von Wut und Weinen bezogen, kann sich das ethische Empfinden, der Sinn für Gerechtig­keit entwickeln.

Der Erwachsene setzt zumeist alles daran, nicht mehr solche Emo­tionen erleben zu müssen, im besonderen nicht deren Vermischung (Wut - Weinen: Verzweiflung und Verzweiflungs-Aggression). Der Verlust des Bezuges zu den Primäraffekten Wut und Weinen beeinträchtigt  die Entwicklung des Gerechtigkeitssinnes ebenso wie das Fixiertbleiben auf der kindlichen Sture des Hin-und-Her zwischen Mitleiderregen und Wutanfall oder auf der Sture des Unterdrückens von Weinen durch Wutanfall.                          .

 

Die Affekttendenz (+e)

 

Beide Affekttendenzen - erklärten wir - sind Reaktionen auf Schmerz und Pein (L. Szondi: "Gefahr- und Schrecksituationen"). Aus ihnen entwickeln sich im günstigen Falle durch das Ausagieren (Entspannen), durch das Weinen und Schreien:

das- Hilfe-Suchen, Hilfe-Erwarten und, wenn genügend "Rettung" (D. W. Winnicott) erlebt worden ist, später das "Führungsbedürfnis" (M. Klein) des Kindes: das Verlangen nach Führung, Grenzsetzungen und Verboten zum Schutz gegen überstarke Erregung von eigenen groben Affekttendenzen mit ihren "katastrophalen", peinlichen und mühsamen Konsequenzen. Durch das Agieren von Mitleiderregungen im Helfen und Retten, durch das Mitleid empfinden der Erzieher zu­sammen mit dem Kind für leidende, gefährdete Objekte wird eine wichtige Komponente für das Erscheinen von Sorgegefühlen um die Objekte und für das Wiedergutmachungsbedürfnis im Kind mobilisiert.

 

Das Ausagieren im Schreien von Wuterregungen kann im günstigen Falle durch Verhandeln der Unzufriedenheiten die Fähigkeit zum Protest und zur Auflehnung hervorgehen lassen, eine Fähigkeit, die das Kind vor übermässigem Stauen grober Affekterregungen und vor ständigem unnützend Geschreie schützt. Schreien und Weinen überge­hend in Wut oder Mitleiderregen treten als zwei einander entgegen­gesetzte und zueinander verflixte Affekttendenzen in die Szenerien des Kinderalltages.

 

 Sie treten als gegensätzliche Affekttendenzen aus­einander, und sind doch beide auf Schmerz und Pein bezogen und so durch das eine, durch den Drang nach Schutz und Rettung, nicht nur auseinander, sondern zugleich zueinander gehalten als die zwei Grund­affekt (e) des Menschen in bezug auf das Erleben von Schmerz und Pein, die ihn zwingen, bald Hilfe und Rettung im Mitleid zu finden, bald im Protest und in der Auflehnung. Sie können auch zerfallen, auseinanderfallen in die gegensätzlichen, sich einander ausschliessen­den Affekttendenzen, in die aus der Polarität herausgefallenen Ge­gensätze von Selbst-Mitleid und Weinerlichkeit und von rücksichts­loser Wut, unerbittlichem offenem oder geheimen Vernichtungsdrang.

In der Erziehung würde die Sorge um das polare Verhältnis bedeu­ten: Man darf nicht einfach jedem Weinen und Um-Hilfe-Rufen ent­gegenkommen und man darf nicht vor Wutanfällen des Kindes Angst haben oder sie durch ständige Demonstration von Übermacht unter­drücken wollen.

Die Entwicklung von Wut zu Protest und Auflehnung (Verhandeln der Unzufriedenheiten) und von Weinen und Mitleiderregen zu Sorge­gefühlen um Objekte, die Differenzierung, das Auseinandertreten der ursprünglich vermischten Primäraffekte (das Wut-Weinen, Verzweif­lung) entsteht in der Begegnung des Kindes mit seinen Liebesobjek­ten, seinen "Fürsorgern" und "Erziehern". Schon der Säugling und das Kleinkind mussen viel Schreien und Wut verschmerzen lernen. Aber sie können dies nur, wenn sie vorerst und immer wie der genügend "Rettung" und das besorgte Eingehen der Liebesobjekte auf ihre Unzufriedenheiten erfahren haben.

Das Eingehen auf die groben Affekte des Kindes und das ständige Verhandeln seiner Unzufriedenheiten können im ungünstigen Falle zur egoistisch-egozentrischen Durchsetzung eigener Wunsche, zu Weinerlichkeit und Selbstmitleid oder rücksichtsloser Wut und Ver­zweiflungs-Wut-Szenen und schliesslich zur Eigen-Willigkeit führen (Unfähigkeit, den Unterschied Erwachsensein - Kindsein zuzulassen, bzw. positiv erleben zu können).

 

Sorgegefühle um die haltgebenden, Rettung und Befriedung gewährenden, bald auch traurig oder böse gewordenen Eltern und Wiedergutmachungsbedürfnis können sich bei Eigenwilligkeit nicht entwickeln.

 

Wenn hingegen - im günstigen Falle - das Kind trotz Führungs­bedürfnis und trotz Identifizierungsfähigkeit (Sorgegefühle) auch sei­ner Auflehnung und seinem Protest

Ausdruck geben kann, dann ist dies ein Zeugnis für (echten) "Glauben an gute und hilfreiche Objek­te". In gewissen Notsituationen kann das Kind Hilfsbereitschaft er­warten und muss dies doch durch Auflehnung und Protest äussern. Es muss die Erzieher zu einem Verhandeln zwingen, wenn dies auch mit Geboten und Verboten sein Ende finden wird. Es musste sich ver­sichem oder muss sich immer wieder versichern: Ich bin ihnen nicht gleichgültig, sie haben mich nicht verstossen. So kann es sich vor dem Verlust des Glaubens an gute und hilfreiche Objekte schützen. Füh­rungsbedürfnis, Sorgegefühle um die Objekte, zusammen mit der Fähigkeit zur Auflehnung und Protest, begründen den (echten) Glauben an das gute und hilfreiche Objekt. Dieses darf "grundsätzlich“  durch Auflehnung und Protest erfragt und zur Rechtfertigung herausgefordert werden. Ohne solche Herausforderung gibt es keinen solchen Glauben. Der Rest ist "infantile Anhänglichkeit", "Verfüh­rung" oder "Unterwerfung".

 

Die Affekttendenz (-e)

 

Es ist eines der Verdienste der Schicksalspsychologie, dass sie ver­sucht, die Affekte, ihre Erscheinungsweisen und ihre Funktion im "psychischen Haushalt", ihre Stellung zwischen den Vitaltrieb-Be­dürfnissen und dem Ich genauer zu bestimmen. Wir können nicht mehr einfach alle aggressiven und zerstörerischen Tendenzen in den einen Topf mit der Etikette Aggression oder Sadismus werfen. Wir verweisen auf die durch sie eingeführten Unterscheidungen zwischen Sadismus im Sexualbereich, dem Tötungsdrang im Affekterleben, der (zerstörenden) Destruktion im Ich-Leben und der Frustrationsaggres­sion im Sozial- und Kontaktbereich. Dasselbe betrifft die verschie­denartigen triebhaften "Wurzeln" der sich entwickelnden Liebesfä­higkeit. M. Klein hat die Bedeutung der Affekterregungen Neid, Ei­fersucht, Hass und Wut im kindlichen Erleben in Verbindung mit Ver­folgungsgefühlen, den depressiven Ängsten und den Ich-Abwehr­mechanismen beschrieben. Die Verbindungen dieser Affekterregun­gen mit bestimmten Bedürfnisfrustrationen (Schmerz- und Pein- und Angstsituationen) und mit aggressiven oralen, analen und genitalen Bedürfnissen und mit den Ich Abwehr Mechanismen sind in ihrer Kom­plexität und Unheimlichkeit oft schwer zu durchschauen. Die Ver­mutung drängt sich einem zudem immer wieder auf, dass die groben Affekte (Neid, Eifersucht, Wut und Hass, Zorn und Rache) und die Angst vor ihrer Erregung und vor den möglichen katastrophalen Aus­wirkungen auf die Objektbeziehungen die Szenerie ausmachen, den dramatischen Gehalt und den Kern jedes Krankheitsbildes darstellen und dass die verschiedenen Erkrankungsrichtungen und Krankheits­bilder im wesentlichen "nur" verschiedenartige Wege sind, auf denen nach Rettung vor den durch die groben Affekte entstehenden, uns bedrohenden "Abgründen" gesucht wird.

 

Die Todeswünsche und Tötungsphantasien

 

Die Faszination des Kindes durch Tötungsphantasien ist etwas vom Unheimlichsten, mit dem sich der Kinderpsychotherapeut auseinander zusetzen hat. Töten, erschiessen, Kopf abschlagen, hängen, er­würgen, aufspiessen, ertränken oder zerstlickeln, verschlingen oder verschlungen werden, verbunden manchmal mit Quällust oder Ra­chegefühlen, manchmal mit höhnischem und entwertendem Trium­phieren und dies alles bei psychotischer wie neurotischer Entwick­lungsstörung, bei Kindern mit POS, bei Grenzfallkindern, bei Kin­dern mit manifester Aggressionssymptomatik ebenso wie bei lie­bevollsten kleineren und grösseren Kindern, dies alles sind Phantasie­gebilde und Spielhandlungen, deren Verbindung mit groben Affekt­erregungen, mit Sadismus oder Masochismus, mit manischem Trium­phieren oder zerstörerischer Objekt- und Selbstentwertung und deren Ursprung in der Lebensgeschichte des Kindes oft schwer zu erfassen sind. Es handelt sich zumeist um phantastische, dramatisierte und oft krankheitsbildtypische "Inszenierungen" von groben Affekten. Die sie ursprünglich auslösenden Pein- und Schmerzerlebnisse sind schwierig zu erraten. Die Phantasien und Spiele erscheinen wie lös­gelöst von ihrem Ursprungsfeld: von den alten, schon längst verges­senen oder verschwiegenen Frustrations- und Ich beeinträchtigungs- ­Gehfühlen, den Ängsten und Enttäuschungen und dem einstmaligen Hin-und-hergerissen-Werden zwischen Weinen, Hilfsbedlürftigkeit ei­nerseits und Wut und Hass andererseits.

 

Alle groben Affekte sind mit spezifischen Ängsten und Schmerzgefühlen verbunden, bilden eine je besondere "Szene"; vereinfacht dargestellt: Hass ist mit Liebesenttäuschung, Wut mit Unterdrückung, Neid mit dem Gefühl, zu kurz zu kommen oder nichts bekommen zu haben, Eifersucht mit Liebesverlustangst, Rache mit narzisstischer Kränkung, Jähzorn mit dem Erleben von Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit verbunden. Die Entladung solcher Affekterregungen bringen den Schmerz und die Pein zum Erlöschen. Zur "inneren Realität" gehören eben diese seelischen Schmerzempfindungen (Frustrations- und Ich- Beeinträchtigungs- Gefühle), die nicht entladenen Affekterregungen (Weinen, Schreien und die groben Affekte) und die Angst vor deren Entladung; sie bilden den Kern der inneren Realität, von ihrer bedrohlichen Seite her gesehen. (Ihr entgegengesetzter Aspekt könnte mit den Begriffen von M. Klein "Innerer Reichtum" und "Introjektion guter Objekte" umschrieben werden.)

Die Tötungs-, Verletzungs- und Zerstückelungsphantasien erschei­nen zumeist, wie wir sagten, von der "inneren Realität" (dem Affekt­ und Triebzentrum) wie losgelöst, werden ohne Affektbeteiligung ge­spielt oder sind durch Phantasmatisierung und Symbolisierung in phantastische Szenerien verlegt.

Sie sind manchmal als ein Wegwün­schen der Objekte, als Beseitigungswünsche (Todeswünsche und nicht Tötungswünsche) zu betrachten: Das Kind möchte die Objekte los­werden, nicht mehr an sie denken müssen, von einem inneren Konflikt, den sie hervorrufen und der unlösbar ist, loskommen (-e, -m). Es kann im Täten als Beseitigen auch ein Protest liegen, der sagen will, dass es sie nicht mehr braucht, nicht mehr brauchen will oder dass es sie nicht mehr fürchtet. Das Kind kann die Objekte mit An­klage, mit Vorsicht und List verfolgen und beseitigen (-e, -p), sie überraschen und in gewalttätiger Weise täten (-e) oder mit Entwer­tung und Triumphieren ( -e, +s, -k, -m) entmachten und töten, und schliesslich kann es in "Tötungsbesessenheit" mit mehr oder weniger Affekt, vielleicht bewegungssturmartig gegen "halluzinierte" Feinde Tötungskämpfe inszenieren. Wir können den hinter solchem Agieren und Phantasieren liegenden Frustrationserlebnissen, den enttäuschten Liebesverlangen und Ängsten näher kommen, wenn wir erkennen können, um was für Affekterregung es sich handelt (Wut oder Hass usw.), wenn wir uns in der Psychologie der groben Affekte und f

ihren Szenerien auskennen und den Zusammenhang solcher Szenen mit den lebensgeschichtlichen Ereignissen und dem Verhalten der Liebes­objekte des Kindes erwägen können.

Die folgenden Erscheinungen im Bereich der groben Affekte sind in jeder Kinderpsychotherapie von entscheidender Bedeutung:

- Das Wagnis, gestaute grobe Affekterregung im spielerischen Be­reich oder in der Übertragungs- Beziehung auszuspielen.

- Die solchen groben Affekterregungen zugrunde liegenden Ängste, Schmerz- und Peingefühle äussern können und diese Erregungen bei sich und bei anderen als Reaktionen auf Schmerz verstehen lernen.

- Die Affektumkehr von Tötungs- und Verletzungshandlungen und -absichten zu Mitleid, Wiedergutmachen und Helfen (von e- zu e+) und das Bewusstwerden von Schuldgefühl.

- Das Erwachen des Bedürfnisses nach Schutz durch Setzung von Grenzen und durch Haltgebieten gegenüber dem unheimlichen Erregtwerden

durch solche Affekterregungen und deren möglicher­weise erschreckenden Konsequenzen.

Die Affekttendenz (-e) ist die Affektenergie, die den Menschen bei Schmerz und Pein aufspringen lässt, in Erregung versetzt, die ihn den Feind, den grausamen Unterdrücker, den räuberischen Rivalen, den Verfolger oder Quäler sehen oder suchen und verfolgen lässt (-p), um ihn in mehr oder weniger überraschender Weise oder mit List und Vorsicht (-e, -p) anzugreifen, zu entwerten, zu verletzen, zu ent­machten, zu töten oder um ihn zur Wiedergutmachung zu zwingen.

Die Affekterregung und deren Entladung – wenn sie nicht durch paranoide Verfolgungsgefühle (Wahn) oder epileptiformen Tötungs­drang fehlgeleitet sind - löschen Schmerz und Pein aus. Wir müssen in den groben Affekten eine wichtige Energiequelle, die das Leben und die Persönlichkeit in ihrer Entfaltung erweitern können, sehen lernen. Zugleich lässt sich nicht bestreiten, dass durch diese Affekte viel Unheil in die Welt kommt. Die Energie (-e) als eine Kraftquelle erleben können, als eine das Leben bereichernde Energie, die Ver­mutung, dass in "feindseligen Gefühlen" und in "groben Affekten" eine psychische Energie liegt, die befreit und uns zugänglich gemacht werden sollte, deren Verlust die Lebensentfaltung einschränkt, sind Überlegungen, die uns vor Fragen stellen, die nicht nur den Psycho­therapeuten in Verlegenheit bringen können. Man hat versucht, "konstruktiven" Hass  von "destruktivem" zu unterscheiden, man spricht von "objektivem Hass" oder vom Hass als einer "Leiden­schaft", durch die wir Standfestigkeit in uns selbst und Hellsichtig­keit in der Welt finden können. Man spricht von der "Fähigkeit" und "Unfåhigkeit" zu hassen, der Fähigkeit oder Unfähigkeit, Eifer­sucht empfinden zu können usw. Man wird in diesem Zusammenhang auch an die "Affektsozialisierungen" zu denken haben, durch die grobe Affekte in sozial "nützlicher" Weise entladen werden, wie Neid durch Wettstreit und durch freie Konkurrenz, Wut und Revolte durch Feindideologien, Einschüchterung, Drohung und Kampfeinsatz in der Politik, Hass durch Begeisterung für Kriegsspiele und das Töten von Tieren, Rache und Neid durch Unterdrückung und Verachtung im Generationen- und Klassenkampf. Die heutige Welt steckt aber so voller zerstörerischer "Energien", und das Bedürfnis nach Rettung vor drohender Vernichtung von innen und aussen kommend ist so

 

Die heutige Welt steckt aber so voller zerstörerischer "Energien", und das Bedürfnis nach Rettung vor drohender Vernichtung von innen und aussen kommend ist so gross, dass solche "Affektsozialisierungen" mit den immer spärlicher werdenden - "beigemischten libidinösen Komponenten" uns eher skeptisch stimmen und wie ein immer stärker werdender Drang, an den Rand des Abgrundes zu kommen, erlebt werden. - Dennoch soll es gelten: Auch die Affekttendenz (e-) ist eine Energiequelle.

 

Wir behaupten: Die Todeswünsche und Tötungsimpulse (und ihre Maskierung) sind das Produkt nicht gewagter oder unterdrückter Auf­ruhr- und Protestgefühle. Diese gelten normalerweise jedem grossen Affekt voraus und führen im günstigen Fall zur Verhandlung von Unzufriedenheit, von Schmerz und Pein. Die Hemmung und Unterdrücking von Auflehnungs-Gefühlen kann hereditären oder lebens­geschichtlichen Ursprungs sein. Wir können die Energiequelle (e-) als die Energie bestimmen, die es dem Kind erlaubt, in Wut, Auflehnung und Protest sich an jemand zu wenden (insofern dieser es zulässt), der nicht das Richtige tut, nicht das tut, was es braucht oder zu brauchen glaubt (wähnt). Es ist ein Kriegen und Wüten und Angreifen. Es versucht, und vor allem dann, wenn Frustration das ihm erträgliche Mass zu überschreiten scheint, sich der "guten und hilfreichen" Objek­te zu versichern. Wut gegen Unterdrücker, Hass, Neid, Eifersucht, Zorn und Rache, Tötungsabsichten und Todeswünsche bezeugen, dass der Glaube an gute und hilfreiche Objekte in Gefahr geraten, sich verlie­ren könnte oder verloren gegangen ist. Solange dieser Glaube besteht, schützt er das Kind vor Verzweiflungsangst und Verzweiflungsaggres­sion und vor exzessiven Affekterregungen. Es sind die Elternimagi­nes, wie wir sie in den Spielen und in der Phantasie vorfinden und der Zustand dieser verinnerlichten Objekte, die uns über die Stärke des Glaubens Auskunft geben (Sie können verletzt, krank, leidend, ster­bend, tot, bedrohlich, rächend, helfend, Macht übergebend, zärtlich usw. sein.) Durch Zweifel (der kein bloss  intellektuelles Phänomen ist!) und Verzweiflung (die inneren Objekte sind gestorben, nicht wiederherstellbar), durch die jedes Kind zeitweise auch zu gehen hat, kann dieser Glaube erschüttert werden oder verloren gehen. Es ist von entscheidender Wichtigkeit, dass das Kind auch durch Äusserung von Wut, Auflehnung und Protest (in anderen Momenten durch

Wie­dergutmachung) sich des Glaubens an die Existenz hilfreicher Objek­te versichern kann. (Die Eltern "überleben" seine Angriffe.) Es ist dabei zumeist weniger wichtig, das es "recht" haben wird, als dass seine Unzufriedenheit und seine Pein erkannt und zur Verhandlung gekommen sind. Das Wiedergutmachungs- Bedürfnis ist eine andere,

gegensätzliche Energiequelle mit der gleichen "Wirkungsrichtung' der Erhaltung des Glaubens an gute und hilfreiche Objekte. ( Ich habe gute Objekte. Es gibt gute Objekte in der Welt. Es gibt das Gute in der Welt. Man kann es finden und wenn es nötig ist, kann ich die mir lieben Objekte auch wiedergutmachen. Ich brauche nicht, sie zerstören, und so auch nicht mich selbst ). Die Energie, sich aufzulehnen, zu protestieren, im Aufruhr seine Unzufriedenheit kund zu geben, Schmerz und Pein im Zusammenhang mit Eifersucht- und Neid gefühlen, Wut bei Unterdrückung auszusprechen und zuweile zu agieren, diese Energie ist, wenn es um den Glauben an gute und hilfreiche Objekte geht und man sich gegen Zweifel und Verzweilung zu wehren hat (und darum ging es ursprünglich bei jeder psychischen Erkrankung), eine "positive", "konstruktive" Energie in de Auseinandersetzung unter Menschen, die notwendigerweise in ihre Zusammenleben sich gegenseitig Grenzen zu setzen und zu helfen haben. Andernfalls führt sie zum Beziehungsabbruch, Beziehungsschwund, zur Beseitigung der Objekte, sie "sterben", sind uns gleichgültig geworden, oder wir versuchen sie wenigstens noch auszunutzen, zu manipulieren und zu beherrschen.

 

Wenn das Kind Schmerz und Unzufriedenheit nicht durch Auflehnung und Wut auszudrücken vermag, muss es sich gegen die zunehmende Durchschlagskraft der groben Affekte mit den verschiedene Schutz- und Abwehrmechanismen wehren. Es versucht, den Glaube vorerst einmal durch exzessiven Anklammerungsdrang und Gehorsam ("Unterwerfung") oder durch Objektbeherrschungsversuche (dass allmächtige Kontrollieren der Liebesobjekte) aufrechtzuerhalten. Wegen den für das Kind normalerweise nie zu vermeidenden, zeitweiligen Entladungen in der Form eines Agierens von groben Affekterregungen (aus dem Kind selber oder von den Eltern her kommend) erlebt es, dass die guten Objekte ihm auch in einem anderen Aspekt als dem der Liebe und Hilfsbereitschaft erscheinen können: Sie werden auch böse, gebieten Halt, verbieten, sind traurig, strafen, "verfolgen" es oder verlassen es. Der Wunsch, sie in ihrem guten Aspekt wieder­herzustellen und die Angst, sie nicht wiederherstellen zu können, sie zu verlieren und dafür verantwortlich zu sein, die Schuldangst (die Liebesobjekte "getötet" zu haben) und die Verzweiflung können so tiefe Erschütterungen für das Kind sein, dass es gezwungen wird, jene extremen Mechanismen zu gebrauchen, die M. Klein als die rnani­schen Schutz- und Abwehrmechanismen bei Kindern beschrieben hat. Sie schützen gegen depressive Verlustgefühle, gegen Schuld­angst und Verzweiflungsaggression (Verlust des Glaubens an das Ob­jekt und an sich selbst. "Es ist mir gleich, wenn die ganze Welt und alles (auch ich) kaputt gehen".)

Der Glaube an die Existenz guter und hilfreicher Objekte (an das "Gute") ist aufs engste verbunden mit dem Glauben an sich selber als einer guten, "zuverlässigen", "konstruktiv" sein könnenden Per­son. Als so1che braucht es nicht alles kaputt zu machen, seine Ver­suche, etwas zu machen, herzustellen müssen nicht ständig misslingen, es muss die Mutter nicht mehr verfolgen und quälen, muss nicht mehr ständig auf Zerstörung, Unordnung ausgehen wegen Protest und Wut gegen Schuldangst. Mit der Hilfe manischer Abwehrmechanismen wird in phantastischer, überheblicher oder magischer Weise konstru­iert, wiederhergestellt oder repariert, eben: um den Glauben an sich als einer guten und liebenswürdigen Person und den Glauben an die guten und hilfreichen Objekte zu sichern. - "Ich habe gute Eltern, sie sind reich, sie machen mir grossartige Geschenke, ich schütze sie als tapferer Engel im Einsatz gegen die bösen Feinde und Verfolger meiner Eltern, ich liebe sie, ich baue der Mutter einen grossen Spital, wo sie arbeiten kann, ich habe viele Freunde usw." ­

In der Depression wirkt in erster Linie der Verlust des Glaubens an sich selbst als ein von andern als gut empfundenes Objekt. Man fühlt sich durch Todeswünsche, durch Hass -, Rache

(e-) und Vorwurfs­gefühle wie überflutet. Das latent oder manifest depressive Kind glaubt nicht mehr an die Möglichkeit oder an seine Fähigkeit, wieder­gutmachen zu können (Trauer wird Kummer, Gram und Verzweif­lung). Es hat nicht oder vergeblich gewagt, in Auflehnung und Protest seine Zweifel und Anklagen zu äussern. Es lebt "innerlich" mit ster­benden, unzufriedenen, d. h. verletzten, traurigen, rächerischen Ob­jekten und ist selber unzufrieden und hilflos. Es hat den Glauben, sel­ber eine gute Person sein zu können, ebenso wie den Glauben an gute und hilfreiche Objekte verloren.

 

Die Angst, andern weh zu tun, sie zu verletzen und die Unfähig­keit, andern (der Mutter) ein Bösesein zugestehen zu können, sind um so grösser, je weniger es dem Kind möglich war, sich mit groben Affekterregungen in sich und mit denjenigen seiner Objekte auseinan­derzusetzen. Dadurch, dass ein Kind der Mutter und dem Vater ein Bösewerden zugestehen kann, bezeugt es, wie wir schon sagten, seinen Glauben an gute und hilfreiche Eltern. Zugestehen heisst dann Annehmen, Sich bescheiden, Sich einrichten auf ihr Erbostsein und wenn nötig Wiedergutmachung, sich der Nähe zum Liebesobjekt wieder versichern können. Bei exzessiver Angst vor Wehtun und Verletzen und der Angst vor gefährlichen Angreifern bleiben dem Kind, wie wir schon sagten, die zwei gängigen Auswege:

- die Unterwerfung unter die möglicherweise böse werdenden, (aber liebenden Eltern und das Festhalten an idealisierten, übermächtigen Schutzfiguren oder

- das Kontrollieren und Beherrschen der Eltern durch das Verfolgen, durch Szenenmachen, Drohhaltung und Weinerlichkeit.

,... Das Ausagieren von Wut und Hass, Neid und Eifersucht, Zorn und Rache beim nicht verschüchterten und nicht unterworfenen Kind verleiten es immer wieder zu Handlungen, die vom Erzieher sowohl Aggressionstoleranz wie auch Strenge im Verhalten erfordern. Das Kind wagt mit solchen Ausbrüchen eine Auseinandersetzung mit de Erwachsenen, die über die Berechtigung der Entladungen von solche Gefühlserregungen zu entscheiden haben. Grobe Affekte und deren Äusserung erfordern im Selbstgespräch oder in der Auseinandersetzung mit andern immer eine Klärung in bezug auf Berechtigung; Eltern sind immer und notwendigerweise auch "Richter". Falsch Mitleid, schwächliche Gutmütigkeit und ängstliche Friedfertigkeit sind ebenso Störungen des Gerechtigkeitssinnes - der das Entwicklungsziel im Faktor (e) ausmacht - wie rücksichtsloses Ausagieren der groben Affekte oder Gewissensangst und Verletzungsangst, die mit phantastischen Schuldgefühlen, Versündigungsängsten, mit "absurden"

Vernichtungsängsten oder schrecklichen Verantwortungsgefühlen verbunden sind.

Die das Kind in Träumen oder in der Einbildung bedrohende Schreckgestalten (Angreifer, Einbrecher, Mörder, Verfolger) sind die Spiegelbilder der in ihm selbst liegenden, abgewehrten grobe Affekte und seiner Verfolgungs- und Bemächtigungsabsichten. Traumatische Einflüsse verstärken sie lediglich. In fast jeder Therapie gibt es das Problem vom "unerlösten Kain", von der Notwendigkeit, ihn zu erfahren und ihn von den nicht verschmerzten, nicht überwundenen Angst- und Peinerlebnissen durch das Wiedererleben von Wut und Weinen (Hilflosigkeit) und Rettung zu befreien, um so den echten Glauben an die guten und hilfreichen Objekte wiederherstelle zu können. Grobe Affekte können nicht sublimiert, höchstens verlegt und verteilt und so in ihren katastrophalen Konsequenzen abgeschwächt  werden. Revolte und Protest sind nicht Sublimierungen von Kain Affekten, obschon ein Teil der Energie dieser Affekte sich in ihnen entladen kann. Affektintegration beruht auf der Bereitschaft, Schmerz und Pein trotz Affekterregung (Wut und Weinen) mit andern zu verhandeln und in der erworbenen Fähigkeit, Entladungen von groben Affekterregungen bei unberechtigter und effektiver Verletzung anderer, Wiedergutzumachen. Hingegen führen Hemmung und Abwehr von Auflehnungsgefühlen und Projektion von Feindseligkeitsgefühlen immer zu Energieverlust im Sinne verminderter Verteidigungs- und Kampfbereitschaft und zum Verlust an Gerechtigkeitssinn.

 

In der Entwicklung des Kindes sind sowohl das Zurückhalten (Stauen können) wie das Entladenkönnen in Protest und Auflehnung von groben Affekterregungen ein wichtiger Entwicklungsschritt. Das "Durcharbeiten" (Stauen- und Entladenkönnen) von Affekterregung so1cher Art ist in der Erziehung ein zentrales Anliegen und umfasst folgende Aufgaben:

 

1.         Die Bereitschaft der Erziehenden zum Verhandeln der Unzufrie­denheit und Auflehnungsgefühle des Kindes

2.         Das Erarbeiten des Verständnisses beim Kind für das Schmerzliche und Peinliche einer unvermeidlichen Versagungssituation, verbun­den mit dem Helfen und Suchen nach Verminderung seiner Schmerzen (die Kompromissbereitschaft).

3.         Die gerechte und strenge Führung durch Gebote und Verbote, die es vor hemmungslosen Affekthandlungen und ihren Folgen wie Be­ziehungsabbruch usw. schützen sollen.

       (In der Psychotherapie: "Grenzensetzen ").

4.         Das Erkennen und Sicherkenntlich-Zeigen für die Wiedergutma­chungsäusserungen beim Kind und das Anbieten von Gelegenheiten für Wiedergutmachung ebenso wie das Schaffen von Gelegenheiten für das Kind, die es ihm erlauben, an Hilfe- und Rettungsaktionen zum Schutz von Leidenden, Schwachen und Hilfsbedürftigen teil­zunehmen.

 

In der psychotherapeutischen Situation verlangt die analytische Ein­stellung von uns, dass wir spüren lernen, inwiefern wir es mit mehr oder weniger verborgenen groben Affekterregungen zu tun haben, sich ankündigend z. B. in Erdbeben, Gewittern, Schneelawinen, Häu­serbränden oder verborgen hinter Projektion und Verlegung (wenn ein Mädchen von einer Tante erzählt, diese sage der Mutter, es – dass Mädchen - könne dann schon besseren Kaffee machen);

dass wir verstehen lernen, inwiefern wir es eher mit Wut als mit Hass, mit Neid oder Eifersucht usw. zu tun haben und in we1che Triebversagungs- oder Ichbeeinträchtigungssituation die Erregung gehör­t (Geschwistereifersucht, Neid und Eifersucht wegen Ausschluss_- Gefühlen gegenüber dem vereinigten Elternpaar, Hass gegen die verräterische und treulose Mutter, Wut oder Todeswünsche gegen den unterdrückenden, zur "Machtübergabe" an den Sohn unwilligen Vater usw.).

Aber erst wenn es uns gelungen ist, hinter der Abwehr durch Töten, Verletzen, Entwerten, Projizieren und Verlegen das Schmerz hafte, die Befürchtung, die so sehr begehrte, einmal genossene oder immer nur erhoffte Befriedigung zu erkennen, wenn es uns möglich geworden ist, dem Kind das Begehren und den Schmerz in Worte auszudrücken, es uns so gelingt, der Entladung der Affekterregung durch Partizipation am Schmerz gleichsam zuvorzukommen, die Erregung zu "untergraben", dann wird es möglich sein, im Kind di Hoffnung zu stärken, indem wir es an das einmal Begehrte und Besessene erinnern, das vielleicht wiederkommen, oder wiedererrungen werden kann, ersetzbar ist (d. h. dank anderer Befriedigung vergessen werden kann) oder das man zwar noch nie besessen hat, das aber zu erringen ist (anstatt es einfach passiv zu erwarten).

 

Epileptiforme Störungen

 

Hier liegt eine durch die Anlage bedingte erhöhte Schwierigkeit vor die groben Affekte im Hinblick auf berechtigten oder unberechtigte Protest und Aufruhr hin zu erspüren und durchzudenken. Die Neigung nach Versöhnung und Gutmütigkeit oder die Gefahr  wie

Dostojewskij einmal sagte - im Strassentumult und bei Demonstrationen die Fahne zu ergreifen, den andern vorauszurennen und erschossen zu werden - den Tod zu suchen durch "zufälliges Unglück", die Sehnsucht nach Wiedervereinigung mit dem totgewünschten Liebesobjekt oder die schliesslich ausbrechenden Tötungs- und Verletzungsimpulse usw. erschweren oder verunmöglichen ein situations- und ichgerechtes Stauen und Entladen von Affekterregung und das Verbalisieren von Schmerz und Pein bei Neid-, Wut-, Hasserregungen und beim Ergriffensein durch Mitleid.

 

Zur Psychologie des Faktors (hy)

 

Die Affekttendenz (hy)

 

Wir haben das Affektbedürfnis (e) als ein Begehren nach Sicherung und nach Bewältigung von Schmerz und Pein, nach Befriedung darge­stellt, ein Begehren, das sich in der Form von Beseitigen und Ent­machten, von Haltgebieten und Bedrohung oder in der Form von Schreien, Weinen, Mitleiderregen, Mitleidempfinden, Helfen und Wie­dergutmachen ausdrückt. Im Affektbedürfnis (hy) sehen wir eine Re­aktion auf ein Erblicktwerden, einen Drang, im Erblicktwerden ein Geliebt-, Begehrt-, Bewundertwerden zu finden und sich vor einem möglichen Vergessen-, Zurückgestossen-, Verurteilt- oder Ausgestossenwerden entweder durch Scheu, Taktgefühl, Zurückhaltung oder durch vorteilhaftes Zeigen und Sich-zeigen geschützt zu wissen. An die Stelle von Schutz durch Hilfe- und Mitleiderregen oder von Schutz durch Schädigung, Haltgebieten und Beseitigung der Unruhe-, Angst- und Schmerzverursacher tritt das Bedürfnis, eine angenehme und freudige Erregung im Erblicktwerden durch andere zu erreichen und der Drang, das Sich-geschätzt-und geliebt-Wissen durch Zurück­haltung und Scheu bewahren zu können. Es geht im Überraschungs­trieb um ein "Geliebt- und Gerettet-Werden".

·         Wir sehen das Gerettet­-Werden stärker mit dem Bedürfnis (e )und

·         das Geliebt-sich-Wissen mit dem Bedürfnis (hy) verbunden.

Zwei Bemerkungen müssen den Erörterungen vorausgeschickt wer­den:

  1. Das moralische Empfinden darr nicht mit der Affekttendenz (hy-) gleichgesetzt werden.
  2. Geltungsbedürfnis und Exhibition sind gestörte Weisen der Affekt­tendenz (hy+).
  3.  

Hinter dem Geltungsbedürfnis und der Exhibition, die wir als Verhal­tensstörungen betrachten, steht der normale, allgemeinere und erre­gende Drang, durch das, was man ist (kann oder hat) erblickt, be­gehrt, geliebt, bewundert zu werden, als etwas "Gutes" erkannt, als etwas Schätzenswertes, Beachtenswertes oder des Lobes Würdiges er­blickt zu werden, als der Strahlende erscheinen zu können, statt als der Vergessene, Unerkannte oder gar Unwürdige, Minderwertige, Schlechte dastehen zu müssen oder als der Böse abseitsgestellt zu werden und so sich als der Ausgestossene und Verstossene gar verstecken zu müssen. Für etwas, was man ist, kann oder hat, freudig begrüsst, bewundert oder bestaunt werden, in besonderer Kleidung oder Verkleidung und geschminkt auf der Bühne erscheinen, Theater­spielen, Tanzen und Singen sind erregende Erlebnisse für alle Kinder. Es ist die kindliche Freude, auch da zu sein und gesehen zu werden oder im Glanz des Festes erscheinen oder ganz vorne stehen zu dürfren. Es ist der Jubel, erkannt, begrüsst, gesehen, in Freude erwartet oder sich begehrt zu wissen und die Freude auch, das alles bei andern durch sein Dasein und sein Handeln bewirken zu können.

 

 

Die gestörten Erscheinungsweisen dieser Bedürfnistendenz sind: der Geltungsdrang, das theatralische und sexuelle Exhibieren und die Ehrsucht. Sie sind durch Unfähigkeit, Unwilligkeit, bei sich Scheu ­und Schamgefühle wahrnehmen zu können und durch Rücksichts­losigkeit im Sich-Vordrängen gekennzeichnet. Das gestörte Verhalten dient einem erhöhten und exzessiv gewordenen SchutzBedürfnis vor Ängsten wie:

·         Angst, der Unwüirdige, Minderwertige, der "Kleine", Böse, Schlechte zu sein, oder ausgestossen, verlassen zu

werden (hy-),

·         Angst, der nicht begehrte, der Vergessene, Übergangene, der nicht zum Tanz und Fest Eingeladene zu sein (hy+).

 

Auch bei diesen gestörten Formen der Bedürfnistendenz (hy) geht es um ein "Doch-noch-geliebt-Werden", aber durch dranghaftes, un­kontrolliertes und exzessives Zeigen von dem, was man ist, hat oder kann oder mit Hilfe von Schmeicheln, Schöntun, Lügen oder Betrü­gen und Täuschung.

  • Sobald die erwähnten Ängste diesen Drang ver­stärken, wird ein normales Stauen und Hemmen dieser Affekterre­gung unmöglich. Es kommt zu ständigem oder anfallsartigem, situa­tionsunangepasstem, durch plötzliche Angst hervorgerufenem Sich­-vordrängen-Müssen. Bei Hemmung dieses Dranges muss schliesslich das Sich-geliebt-Wissen durch bewegungssturmartige Symptome (Szenen­machen, Wutanfälle, Tics, Zittern, Krämpfe usw.) gesucht werden. Man macht sich auf absonderlichen Wegen zum Mitleid, Zuneigung und zum Sorge heischenden Ding für andere.

 

Für alle Kinder ist es wichtig, sich von Zeit zu Zeit oder in beson­deren Situationen (z. B. bei der Geburt eines Geschwisters) versichern zu können, ein geliebtes und begehrtes Kind, "Ding für ande­re" zu sein (hy+). Zu anderen Zeiten mag es ihm durchaus auch dar­an gelegen sein, durch Verweigerung, durch Scheu oder Schamhaftigkeit zu "zeigen" (!), dass es sich nicht immer einfach zum bewunderten "Ding für andere" machen lässt.

 

Bei normaler Entwicklung befriedigt sich die (hy+) Bedürfnisten­denz in der Freude, angesprochen, begrüsst zu werden und andere anzusprechen, im Zeigen von dem, was man kann, hat und gesehen hat, und in der Freude, die das Kind bei andern durch sein Erschei­nen und das Vorgezeigte bewirken kann. Die Befriedigung dieser Be­dürfnistendenz kann das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen des Kindes stärken. Sie kann aber auch mannigfaltigen Verzerrungen und Hemmungen unterliegen. Die einen Kinder "arbeiten" nur, wenn Lob, Bewunderung, Belohnung und besondere Hilfe (wieder der ein­zige neben der Mutter zu sein) in Aussicht stehen. Vie1e verlieren durch ständige schulische Misserfolge den Mut aufzutreten, die Freu­de am Vorzeigen des Gelernten, des Gesehenen. Andere Kinder und Jugendliche versagen sich Leistungserfolge, um die Eltern zu strafen und um zu verhindern, dass die Eltern sich an ihnen freuen können oder dass sie als das bewunderte Ding im Schaufenster der Gesell­schaft zur Freude der Eltern ausgestellt werden oder zur Befriedi­gung ihres Ehrgeizes. Jugendliche verbergen manchmal ehrgeizige An­sprüche vor ihren Kameraden in der Schule. Und es endet bei dem Verhalten vieler Erwachsener, die durch Geheimhaltung von sexuel­len Wunschregungen und Wunschbefriedigungen und durch Zurück­haltung von "Information" und Wissen ihre Macht- und Geltungs­ansprüche in verzerrter Form und auf "Umwegen" befriedigen.

Wir sagten, das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen können in der Affekttendenz (hy+) eine wichtige Energiequelle finden. Das Er­strahlen, der Jubel, von anderen als etwas Besonderes erlebt zu

wer­den, für sie etwas "Gutes" sein können und sie in freudige Erregung und Aufruhr zu bringen, die Freude ein gewandter Redner zu sein, ein bekannter Musiker, so1che Erregungen und Befriedigungen erwecken in uns oft die Meinung, dass_es eben dazu besonderer Begabung oder Mut brauche. Es muss nicht so sein. Die Freude am Erblickt wer­den, die Freude am Mitmachen auf der Bühne des Lebens und der Welt, etwas Freudiges, etwas Entdecktes mitteilen können, ein selbst­verfertigtes Bild an die Wand hängen, sich Schmücken und andere schmücken, die Sicherheit, ganz vorne allein oder mit andern zu ste­hen, im Glanz des Festes erscheinen zu dürfen, "da_ sie einmal ir­gendwo vorne gestanden hat auf ihrem Leben, wo die Bewegung am grössten ist" (R. M. Rilke) sind Gemütserregungen, in denen wir uns lieber uns hinausgehoben fühlen und die nicht nur dem Talent oder Genie vorbehalten sind.

 

Normalerweise findet die Liebesbedürftigkeit und die sich entwic­kelnde Liebesfähigkeit in der Gemütserregung (h+), dem Sich-Zeigen, ein wichtiges "Tätigkeitsfeld". Sie ist anderer Art als die Befriedi­gung im sexuellen Bereich (S Vektor): Verlangen nach körperlicher Berührung, Zärtlichkeit und Überwältigung), anders als die in (P Vektor: Befriedigung im Hel­fen und Retten von Hilfsbedürftigen durch fürsorgeirische oder Auf­ruhr stiftende Anteilnahme am Leiden und der Auflehnung anderer, als die Befriedigung im (Sch Vektor, Egovektor) : Verlangen nach Partizipation, Machtübergabe und Machtteilhabe oder als die Befriedigung im Kontaktbereich 

(C Vektor)(Halt durch Verhandeln von gegenseitigen "oralen" und "analen" Befriedigungen).

 

Gegenüber der Freude am Begrüsst­werden, am Vornestehen und dem Erstrahlen im Licht der Anerken­nung, des Lobes und der Bewunderung, sind Geltungsdrang und sexu­elle Exhibition die durch geheime Angst und Verzweiflung verküm­merten Formen des Dranges nach Sich-geliebt- und-geschätzt-Wissen.

 

Die Affekttendenz (hy-)

 

In der Scheu, der Scham und der Verweigerung liegt auch ein Er­blicktwerden, ein stattgefundenes oder noch ausstehendes. Es ist nicht mehr der Wunsch, begrlüsst zu werden oder im Glanz der Be­wunderung, des Festes oder der Ehrwürdigkeit zu erscheinen. Es ist der gegenteilige Wunsch, der nach Verweigerung, nach Unsichtbar­werden, nach Zurückhaltung, der Wunsch nach Verweigerung zu zei­gen, was man ist, hat oder kann. Das Verbergen kann verbunden sein mit der Angst, als der Böse, der Sünder, der Schlechte, als der Un­würdige, Ungeschickte, Wehleidige usw. dastehen zu müssen und ver­worfen, ausgestossen oder verlacht zu werden. Nun scheint es schwie­rig zu sein, in der Scheu und Scham und Verweigerung eine Affekt­erregung zu sehen, die Affektenergie bedeuten könnte, in ihr eine Energiequelle zu sehen, die von uns die Fähigkeit verlangt, so1chen Drang zu stallen oder entladen zu können. Werden Scham, Scheu und Sich-Verbergen nicht eher als beklemmend, einengend, als pein­lich empfunden? Ist es Zufall, dass wir sie, wenn wir sie beschreiben, an Begriffe denken, die Charakterqualitäten und Charakterfehler be­zeichnen wie Bescheidenheit, Schamhaftigkeit, Schüchternheit, Ängst­lichkeit, Verlogenheit, Beziehungsangst, irreale Phantasiewelt? Wir versuchen auf indirektem Wege diese Energiequelle zu be­schreiben, indem wir uns zuerst dem Begriff des moralischen Emp­findens zuwenden. Dieses wird als das Bedürfnisziel im Faktor hy angesehen.

 

Zuerst wenden wir uns aber nach einmal zurück zur gegenteiligen Affekttendenz. Man mag darüber erstaunt sein, dass wir die Affekt­tendenz, das Sich-Zeigen (hy+) mit dem Stichwort "Jubel" zu cha­rakterisieren versuchten. Es soll auch nur ein Versuch sein. Es geht uns in diesem Beitrag zur Psychologie der Affekte darum, zu versu­chen, sie vom entwicklungspsychologischen Gesichtspunkt her zu charakterisieren. Von ihm aus erscheint uns das Affektleben des Säuglings, des Kleinkindes und des Kindes von den vier gegensätzli­chen Affekterregungen, von Schreien und Weinen und Wut einerseits und von Jubel und Scheu, Scham und Verweigerung andererseits ge­kennzeichnet zu sein. Diese vier Affekterregungen sind vom ersten und zweiten Lebensjahr an die dominierenden ekstatischen Momente im Leben des Kindes. "Jubel" (Jubilieren) - so wie jede primitive Affekterregung tritt später mit anderen Gemütserregungen in viel­fache Verbindung. Ursprünglich zeigt er sich beim Säugling als das Strampeln, als der unbeherrschbare Bewegungssturm beim Erschei­nen der Mutter und der "Gesichter", als Antwort (und als ein Su­chen) auf ein Gesehenwerden, als Erstrahlen im strahlenden Be­grüsst werden durch die Gesichter. Wir sehen in dieser primitiven Af­fekterregung einen wichtigen Faktor für das Sich-geliebt-Wissen und für das Selbstwertgefühl. Es handelt sich um eine primitive Form von Versicherung: Man liebt mich, man "schätzt" mich. Ich werde erwar­tet. Sie ist ein erstes Auftreten auf die Bühne des Lebens und ent­spricht dem Strahlen und Leuchten des Gesichtes der jungen Frau bei der sich ankündigenden Geburt.

 

In der Entsprechung zum ethischen Gewissen als dem sich ent­wickelnden Gerechtigkeitssinn entwickelt sich das Bedürfnis (hy) im Zusammenspiel der zwei gegensätzlichen Bedürfnisstrebungen zum moralischen Empfinden. Dieses enthält Anweisungen und Regeln für das Sich-Zeigen, das Auf-die-Bühne-Treten und für Zurückhaltung. Durch Bescheidenheit und Taktgefühl einerseits und durch den Mut, sich zu zeigen, und durch die Freude am Erscheinen andererseits ent­wickelt sich das moralische Empfinden, der Sinn für Schätzenswertes, für Geschick, Schickliches und Ziemendes. Man kann das moralische Empfinden nicht mit der Affekttendenz (hy-) gleichsetzen. Es entwickelt sich in der Entgegensetzung und im Zusammenwirken, Einander-sich-Fügen beider gegensätzlicher Affekttendenzen. Scheu, Schamhaftigkeit und Verweigerung sind Gemütserregungen die  nicht wie das Sich-Schämen, die Schuchternheit und die  Schandegefühle als beklemmend, einengend und peinlich empfunden werden, die vielmehr Ausdruck von Stolz, Widerstand und Selbstsicherheit sind. Das

Verbergen überstarker zärtlicher Gemütsbewegung, die Freude am Zurucktreten und unerkannt für eine Sache ein treten können, die verhaltene Freude und Erregung am erst kommeden und nach aufgesparten Sich-Zeigen, die Verweigerung, jetzt oder hier sich zu zeigen, und das Begehren, selber zu bestimmen, ab, wann und wo man etwas zeigen will, die Zurückhaltung der eigenen Person um die "Sache" zum Sprechen kommen zu lassen, das Verbergen ur Sich-Verbergen für erst Kommendes, nach Unzeitgemässes, ein

gemeinsames, verborgen gehaltenes Vorbereiten von Fest und Geschenken (das Weihnachtsfest und seine Vorbereitung bei Kindern), diplomatische Zurückhaltung im Verhandeln der Anspruche, die Scheu als das Zurücktreten und Raum-geben-Können dem überlegnen, Bewunderungswürdigen, dem wir innerlich zugeneigt sind, das uns aber, unsere Intimität nur berührend, unvertraut ist und dem wir uns nicht aufdrängen wollen (Taktgefühl), die Scheu vor dem Trauernden, dem Sterbenden, dem Fremden (wenn es all dies überhaupt noch gibt; denn heute wird ja alles ans verzehrende Licht der Öffentlichkeit gezerrt), dies sind Bezeugungen der Affekttendenz (hy-). Die Kraft, die uns aus einem Verhältnis, aus einer Szene zurückzieht, Weil  wir uns übereilt in sie haben hinausreissen  lassen, die Schamhaftigkeit, mit der wir uns und den Partner vor unzeitgemässer und illusionärer Nähe und Intimität schützen, die vielleicht trotzige

Verweigerung aufzutreten, die Verweigerung, ein Geheimnis auszuplaudern ein wesentliches Wissen zu beliebiger Zeit mitzuteilen und schliesslich die Verweigerung, im Glanz und Ruhm, in der Pracht und Licht der Öffentlichkeit, auf der Buhne der "Welt" zu erschein (Priestertum): dies alles gehört zum Wirkungsraum der Faktortortendenz (hy-), der Verbergung, insofern sie Energiequelle ist und im Gegensatz zur Strebung, zu zeigen und sich zu zeigen, steht. Sowohl der Zeigelust wie in der Verbergung geht es um die Erregung, Bezeugung und Sicherung eines Selbstwertgefühles, um ein Sich-geliebt und -geschätzt-Wissen auf der Bühne des öffentlichen Lebens och der Buhne der "verinnerlichten Zuschauer", jener Figuren, die uns

das Aufschauen und Staunen gelehrt haben.

Zum moralischen Empfinden gehört auch der Mut, der darin be­steht, dass man konventionellen und "weltlichen" Auffassungen von Würdevollem, Beachtenswertem, Bewunderungswürdigem, dass man manchem, was Ehre, Macht und Ansehen beansprucht, Widerstand leisten kann. Und schliesslich sind selbst Armsein, Angsthaben und Unwissend sein keine Schande. Blosser Anstand und Schicklichkeit können sich vom wesentlichen Wissen über Schätzenswertes und der Verehrung und Zuneigung Würdiges losgelöst haben. Man darf das Schätzenswerte nicht mit Konvention, Sitten und Gebräuche und deren Verherrlichung gleichsetzen. Wohl gibt es dies, dass man sich den Sitten und Gebräuchen gemäss zeigt. Aber: Den Wertschätzungen anderer widersprechen können, ihrer Kritik und Verurteilung stand­halten, sich ihren Auffassungen von dem, was Beifall, Ansehen und Lob verdient, nicht fügen - solche Verweigerung beginnt schon im zweiten Lebensjahr - derartige Erregungen sind für die Entwicklung des moralischen Empfindens ebenso wichtig wie die Lust aufzutre­ten, die Lust am Zeigen von erlernten Fertigkeiten, das Zeigen von Stärke oder Geschicklichkeit. Als Energiequelle wird das Bedürfnis des Kindes nach Verbergung und Verweigerung vermutlich sehr früh durch den Drang der Eltern, das Kind ihren Geltungsansprüchen und Ansichten entsprechend mit Liebe und Strenge zu zwingen und zu manipulieren, fehlgeleitet. Es ist schliesslich eines ihrer wichtigsten Dinge, das sie der Welt vorzuzeigen haben.

 

Als Energie ist Zurückhaltung ein Gefühl der Stärke, der Sicher­heit. Es liegt in der Verweigerung, im Verbergen und im Verschwei­gen eine eben solche Kraft wie im Sich zeigen und Auftreten. Solche innere Erregung ist von den gestörten Formen des Verbergens, von übertriebener Schamhaftigkeit oder Ängstlichkeit und von Schüch­ternheit zu unterscheiden. Diese Gemütserregungen sind eher durch Angst vor Lächerlichkeit, Entblössung, vor verletzender Kritik, Tadel oder Strafe gekennzeichnet.

 

Die Bedürfnisziele

 

Das Bedürfnisziel im Wirkungsraum des Faktors (e)

 

Um was für Energie handelt es sich im Faktorbereich (e)? Inwiefern umfasst das Bedürfnisziel die zwei gegensätzlichen Energiequellen? Inwiefern "braucht" das eine Strebungsziel das andere, d. h., unter welchen Voraussetzungen fügt sich das eine dem anderen? Zusam­mengehören des Entgegengesetzten (Polarität) meint das Sich einan­der-Fügen im Auseinandertreten im Hinblick auf das sie umfassende, in der Einheit und in der Auseinandersetzung halten de Bedürfnis­ziel. Zwei Ideen werden in der Schicksalspsychologie mit dem Bedürfnis e in Verbindung gebracht:

 

1.       Es ist einerseits der Drang nach Schutz und Rettung vor überstar­ker Erregung von groben Affekten, also der Drang nach Rettung und Hilfe in äusseren und inneren Not- und Gefahrsituationen, die grobe Affekterregungen ausläsen könnten (+e) und andererseits der Drang, solche groben Affekterregungen zur Abwendung von Not, Schmerz und Pein in ein Angreifen und Überraschen des Feindes übergehen zu lassen (e-).

 

2.  Das sie vereinigende Bedürfnisziel wird als der ethische Drang nach Schutz und Rettung vor dem "ungeheuerlichen Zwiespalt" in uns bestimmt, dem Zwiespalt zwischen dem Übermächtigwerden des "Wunsches zu töten" und dem "inneren Gesetz gegen das Töten". Der ethische Drang zwingt die Person, "das ewige innere Gesetz 'Töte nicht!' in ihrem Verhalten durch Gutmachung aller jeweilige Todesansprüche zur Geltung zu bringen" (Szondi, 1960, 28).

 

Es handelt sich bei diesem Drang um ein "triebhaftes ethisches Ver­halten". Die Urambitendenz, die Tendenz zum Guten und die zum Bösen, ist angeboren (S. 104). Die Entwicklung in der einen oder an­deren Richtung entsteht durch die "Stellungnahme des Ichs". Im ethischen Drang ist diese getragen, unterstützt durch das triebhafte Bedürfnis nach Wiedergutmachung und durch das Bedürfnis nach Schutz und Rettung vor furchterregenden Stauungen von groben Affekten in uns. Durch solche Furcht und solchen Drang nach Ret­tung ist "das ewige innere Gesetz 'Töte nicht!' zur Geltung ge­bracht".

Man wird die hier erwähnten Ideen der Schicksalspsychologie über den triebhaften, ethischen Drang nicht unterschätzen dilrfen. Und doch unterschätzen wir häufig - obschon dies in der heutigen Zeit erstaunlich ist - was "Schutz und Rettung vor furchterregenden Stauungen von groben Affekten in uns" bedeutet und haben keine Ahnung, was für Zusammenhänge vorliegen können zwischen einem so1chen Bedürfnis und den Schutz- und Abwehrmechanismen und den Angstbewältigungsversuchen bei Kindern und Erwachsenen.

A11erdings wissen wir nicht, inwiefern ein "ewiges inneres Gesetz" den Menschen am Töten hindern oder ihn zur Wiedergutmachung zwingen soll. Gibt es wirklich ein so1ches inneres Gesetz? Unbestreit­bar ist, dass wir häufig erschrecken vor dem Bösen in uns und um uns, dass der Drang, Schutz und Rettung vor furchterregender Stauung in uns von groben Affekten und dass das Wiedergutmachungsbedürf­nis, wenn wir uns von so1chen Affekterregungen haben "überfahren" lassen, von fast jedermann erlebt werden. Nur lässt sich das "Gute" nicht durch die Furcht vor dem Bösen in uns und um uns, und das Wiedergutmachungsbedürfnis nicht durch blosse Angst vor dem Über­rannt werden durch die Erregung eigener grober Affekterregung und durch die Angst vor Vergeltung (Rache) bestimmen. Bei Schuld­gefühl, Reue und Wiedergutmachung müssen auch andere Faktoren eine entscheidende Ro11e spielen. Wir denken hier eher an den Zwie­spalt zwischen Liebe und Hass, Aggression und Sexualität, Todes­trieben und Lebenstrieben. Schuldgefühl, Reue und Wiedergutma­chung können nicht erlebt werden, wenn nicht Liebesverlustängste, Liebesbindungen, Liebeserregungen, Rettungserlebnisse und Dank­barkeitsgefühle solchen Drang nach Schutz und Rettung vor dem Tötungsdrang unterstützen. Wie anders denn könnte der Zwiespalt, das Auseinandertreten der gegensätzlichen Affekterregungen, als ein ungeheuerlicher erlebt werden?

 

Der Gerechtigkeitssinn entwickelt sich im Widerspiel und Zusam­menspiel der gegensätzlichen Emotionen, einerseits von Protest und Aufruhr gegen Schmerz und Pein und andererseits von Mitleiderwec­ken, Mitleidempfinden und Schuldgefühl. Auf Grund der Schuld­gefühle, der Rettungs- und Befriedigungserlebnisse entwickeln sich "Sorgegefühle um die Objekte" und der Drang nach Schutz vor überstarker Erregung der groben Affekte, die zur Verletzung oder Tötung der Liebesobjekte führen könnten. Das Schutzbedürfnis nach Verminderung oder Aufhebung der Angst vor dem ungeheuerlichen

Zwiespalt ist ein wichtiger Faktor, der dem "Führungsbedürfnis" de Kleinkindes zugrunde liegt. Schuldgefühl, Mitleid und Führungsbedürfnis dürfen aber nicht zu stark sein, sonst verliert das Kind die Möglichkeit, durch Auflehnung und Protest die im Schmerz und in der Pein erfahrenen Emotionen (Neid, Eifersucht . . .) an die Erwachsenen heranzutragen, um die damit verbundenen Frustrationsgefühl und Gefühle der Iahbeeinträchtigung mit ihnen "verhandeln" zu können. So1che Affekterregungen können sich stauen und entladen, ohne deswegen "das Böse" zu sein oder zu ungerechten Angriffen und gar zum Beseitigen von Objekten führen zu müssen, obschon sie da häufig tun (im psychischen wie im physischen Sinne) und deswegen auch gefürchtet werden. Die Schicksalspsychologie nennt dies ein "existentielle Gemütsgefahr". Auch die überstarke Stauung der Zarten und erotischen Affektkräfte (der Drang, gesehen, begehrt,

beachtet zu werden) kann zu einer so1chen "Gemütsgefahr" werden.

Das Erleben und Erkennen der Konsequenzen und der Gefahren die dem Objekt durch die Entladung von groben Affekterregunge her drohen, und die tatsächliche, schon geschehene Zufugung von "Wunden" bewirken - insofern das Objekt auch geliebt und von ihr auch Schutz und Rettung erwartet wird - Verletzungsangst und Schuldgefùhl, die das Kind zu triebhafter und bewusster Wiedergutmachung drängen. Bei diesem Drang nach Wiedergutmachung spiele die Verlustängste (Angst, die Liebe, Zuneigung, Geborgenheit zu verlieren) und die Ver!olgungs/ Vergeltungs-angst, die Angst, das Objekt könnte böse werden, sich rächen, uns verfolgen und strafen immer eine mehr oder weniger grosse Rolle. Es entsteht dabei das Problem der Angsttoleranz (im Ich): Wenn diese sehr gering ist, d. h wenn Verlust-, Verletzungs- und Vergeltungsangst schon in kleine Quantitäten als ungeheuerlich und bedrohlich erscheinen, bleibt, wiewir schon erwähnten, wenig Raum für Protest und Aufruhremotionen. So1che Emotionen setzen beim Objekt voraus, dass es als gutes und hilfreiches auch Angriff und Wuterregungen ertragen kann und seinerseits sich zu schützen vermag, wenn es sich angegriffen fühlt wenn nötig durch Androhung oder Zufügung von Schmerz und Pein. Die Angsttoleranz beim Kind steht in engem Zusammenhang mit seiner Aggressionstoleranz. Diese meint ein Doppeltes: einerseits die Fähigkeit, Erregung von groben Affekten in sich tolerieren, sie staue und entladen können (mit dem Risiko, sie vielleicht wieder gutmachen zu müssen), andererseits aber auch die Fähigkeit, dass das Kind dem Objekt das Recht zugestehen kann, "böse zu werden" und des­sen Aggression tolerieren kann.

 

Für die Entwicklung des Gerechtigkeitssinnes sind

  • das Sich-Aus­spielen von groben Affekten in Auflehnung und Aufruhr,
  • das Drängen nach Wiedergutmachung bei Schuldgefühl,
  • das sich ent­wickelnde Mitleidsgefühl und Identifizierungsvermögen und
  • eine aus­gewogene Angst- und Aggressionstoleranz wichtige Voraussetzungen.

 

 Er entwickelt sich durch "Zusammenarbeit" der vier Ichfunktionen mit den zwei gegensätzlichen Affektenergien. Diese müssen und zwar beide ins Wunschbewusstsein aufgenommen und phantasmatisiert werden können. Erst so kann  dass sich  stellungsnehmende Ich schliesslich für

·         den Drang nach Versöhnung, Wiedergutmachung oder für

·         den Drang nach Angriff, Vergeltung, Entzug, Bedrohung und Einschüchterung, der äusseren Situation entsprechend (realitätsgerecht) und dem Ich­ideal entsprechend entscheiden.

 

Das Aufnehmen und das Phan­tasmatisieren beider Affektenergien im Wunschbewusstsein bedeuten, dass "grundsätzlich" von beiden Energiequellen und Gemütserregun­gen her die Realität gesehen werden kann, weil beide in die "Projek­tionsbasis" aufgenommen worden sind, d. h., beide Gemütserregun­gen können draussen wahrgenommen, von draussen erwartet, aber auch beide agiert, in die Aussenwelt hinausgetragen werden.

 

(Content following sentence somewhat changed. Translator)

 

Wir haben versucht zu zeigen  das den beiden Strebungen gemeinsame Bedürfnisziel im Drang nach Rettung und Sicherung vor Pein und Schmerz, in der Befriedung zu suchen ist. Es geht im Faktorraum (e) um Vernich­tungsgefahr, Todesangst und Lebenserhaltung (im Gegensatz zum Bedürfnisraum (hy), in dem es um Lebenssteigerung geht). Vernich­tungsgefahren können von aussen kommen (durch häufiges Bedroht-, Unterdrücktwerden, mangelhafte Fürsorge, wegen Jähzornsanfällen des Vaters usw.) oder von innen (überstarke Erregung und Stauung von groben Affekten wegen exzessiv schwacher, angeborener oder er­worbener Aggressions- oder Angsttoleranz).

 

 

 

Im Raum der Affekttendenz (e-) wird die Vernichtungsgefahr eher als Selbstgefährdung (Vernichtungsangst) und der Drang anzugreifen als Selbsterhaltung erlebt. Im Raum der Affekttendenz (e+) geht es um Lebenserhaltung durch Erhaltung der Liebesobjekte, deren Verlust zum Mitsterben führen würde (Todesangst).

 

    Der Drang nach Schutz und Rettung vor Schmerz und Pein, der Drang nach Befriedung bedeutet also:    

  • Einerseits Schutz vor überstarker Erregung von groben Affekten durch Erregen von Fürsorge und Mitleid und Drang nach Wiedergut­machung von Wundenschlagen (Schuldgefülhl) wegen Liebes- und Ob­jektverlustangst auf Grund von bestehender Abhängigkeit und Identi­fizierung mit den Liebesobjekten und
  • andererseits Drang, durch Auf­ruhr und Protest und Wundenschlagen den Angreifern und "Frustra­toren" Halt zu gebieten.

 

Die "Drehbühne" im Faktorraum ( e)

 

Wir können hier die wichtigen Vorgänge, die in jeder analytischen Kinderpsychotherapie zu beobachten sind, nämlich den Wandel des "Wunschbewusstseins und der Stellungnahme des Ichs, we1ches ein­mal ans dieser, ein anderesmal ans jener Triebquelle schöpft, um die­sen oder jenen Anspruch im Vordergrund des Seins ausleben zu kön­nen" (Szondi, 1960, 68), hier also den Wandel von (e-) zu e+ und von e+ zu (e-) Affekterregungen nur kurz erwähnen:

 

Der Ubergang von (e-) zu (e+)

Erregungen im Wunschbewusstsein kann plötzlich, in überraschender und extremer Weise erscheinen. Er kann langsam, zögernd sich be­merkbar machen, mit oder ohne Deutungen erfolgen. Das Geraubte, die Verletzung, das Töten, die Unordnung, die Verschmutzung und selbst nur angedeutete, auf Verletzung oder Tötung zielende Inten­tionen müssen wiedergutgemacht, oft nicht nur rückgängig gemacht werden, sondern das Kind setzt sich durch übermässiges Wiedergut­machen selber in den Zustand, in den es den andern am liebsten ver­setzt hätte, oder es verletzt sich selber oder tötet sich selber (Straf­bedürfnis).

 

Zu unterscheiden sind vor allem

  • das dranghafte, plötz­liche oder extreme, mehr in der Form von Schutz- oder Abwehrme­chanismen erscheinende Wiedergutmachen von dem
  • mehr allmähli­chen oder zögernden, mit Zurückhaltung und Abwägung geleisteten Wiedergutmachen, wobei bei diesem häufig Momente der Überheb­lichkeit, Gönnerhaftigkeit und der Objektbeherrschung noch eine Rolle spielen können. Das eigentliche Wiedergutmachen ist immer mit einem Quantum Angst und Schrecken vor den zerstörenden, den andern verletzenden und tötenden Kräften in uns verbunden und "erträgt" keine Überheblichkeit in dieser Hinsicht.

 

Da die Affekterregungen Neid und Eifersucht, Wut und Hass, Zorn und Rache sich mit den verschiedensten Triebhandlungen verbinden können, erscheinen auch das Wiederherstellen und Wiedergutmachen,

das Schonen, Pflegen und Retten der Objekte in verschiedenen "Ver­k1eidungen", und man spricht von der oralen, analen, uretra1en, phal­lischen und genitalen Wiedergutmachung. Immer geht es um ein Hei­len und Pflegen, Retten und Schützen, Wiederherstellen und

Wieder­lebendigmachen.

Die Umkehr der "Drehbühne der Seeie" geschieht auf Grund des sich wandelnden Ichs. Es

"mobilisiert einmal die eine, ein anderma1 die andere besondere Triebenergie". Wunschbewusstsein und Ste1­lungnahme des Ichs ändern sich, und zwar auf Grund von Steigerung und Verminderung von Angst und vom erwachenden Begehren nach Angstbewältigung. Das Ich in seinem Drang nach Sein (der Grosse, der Mächtige, der Starke sein) und Haben (Verbündete, Feinde, Dop­pe1gänger haben) ist sowoh1 "die Stätte der Angstentwick1ung" als auch die der Inszenierung von Angstabwehr und Angstbewältigungs­versuchen.

 

Der Ubergang von (+e) zu (e-) Erregungen

 

Auch in diesem Fall verwandelt sich das Wunschbewusstsein und die Stellungnahme des Ichs, hier häufiger eher zögernd, langsam sich be­merkbar machend: Das Kind beginnt sich für die "Bösen" zu inter­essieren, spielt sie (oder wir müssen sie spielen), bestraft sie vielleicht oder will sie zur Strafe töten, vergisst dies aber zu tun. Oder: Die Kin­der, die Dummheiten machen, Streiche spielen und "Böses" tun, kommen immer wieder und schliesslich werden sie auch nicht mehr bestraft. Oder das Kind beginnt, sich für die gefährliche und böse Hexe zu interessieren, und schliesslich fliegt es se1bst auf dem Besen­stiel und holt sich ein Kind im Sch1oss. Ein anderes ist erregt und in­teressiert sich für die Art und Weise, wie ein Schu1kamerad dem Leh­rer gegenüber aufgetreten ist, und will diese Rolle einem Lehrer ge­genüber spielen (Rollenspiel). Immer geht es hier um Angstbewälti­gungsversuche, um einen Versuch, (e-) Affekterregungen zu äussern und bei sich und in ihrer Wirkung auf die Objekte erproben und ver­stehen zu 1ernen. Verletzungsängste sollen mit Hilfe der Inszenierung von (e-) Wunschregungen bewältigt werden. Je stärker die Neigung war, solche abzuwehren, unbewusst zu halten, desto mehr "Deutungs­arbeit" und Hilfe bei der Spie1gesta1tung braucht das Kind. Es geht dabei um mehr als das Erlernen von Protest, Auflehnung und Dro­hen können. Die groben Affekte hängen so1chen Emotionen immer an und waren die Ursache für die Ängste und die Abwehrhaltung gegen­über Protest und Revolte. Das Kind muss auch lernen, sich mit den heftigen Erregungen wie Wut, Eifersucht, Neid usw. auseinanderzusetzen, muss Pein und Schmerzgefühle aussprechen können und Recht und Unrecht auf die reale Situation bezogen erwägen lernen. Im Übergang von (e+)  zu (e-) Erregungen im Wunschbewusstsein können die gefürchtete Schuldgefühle wegen Wundenschlagen (Schuldangst) eben so wie im Ubergang von (e-) zu (e+) die gefürchteten Schmerz- und Pein gefühle (z.B. Eifersucht-, Neidempfindungen) nicht einfach abgestossen und. ignoriert werden. Es geht nicht einfach darum, dass der einer (der Schüchterne) aggressiver wird und sich auflehnt und der anderenn (der Ungehorsame) auch lieb und brav sein kann. Es gibt Auflehnung Protest, Streit und Aufruhr ohne Überwindung von Schuldangst ohne Ertragen und Durcharbeiten von Schmerzsituationen. Im Gegenteil, Aufruhr und Aggressivwerden können der blossen Abwehr von Schmerz oder Schuldgefühl dienen. Und ebenso gibt es die Versuchung, durch Lieb- und Bravsein und durch die Vorteile, die man da bei hat, den Drang nach Wundenschlagen mit Hilfe von Projektion Verlegung und Verteilung der Grobheiten zu verleugnen.

 

Die Angste im Faktorraum (e)

 

Wir haben schon an verschiedenen Stellen auf diese Ängste verwiesen Begriffe wie Vernichtungsangst, Schuldangst, Gewissens-, Verletzungs- und Vergeltungsangst, Todes- und Tötungsängste werden in der Literatur häufig erwähnt. Sie können alle unter dem Begriff "existentielle" Ängste oder Vernichtungsängste zusammengefasst werden. Die in der analytischen Kindertherapie häufig erwähnten Verfolgungsängste (paranoiden Ängste) und die depressiven Ängste (M. Klein) sind mit anderen gestörten Bedürfnisenergien verbunden, stehen aber mit den "existentiellen Gemütsgefahren" in engem Zusammenhang Viele der eben erwähnten Ängste werden manchmal als Anzeichen für Erkrankung genommen. Wir wissen aber, dass so1che Ängste oder Überreste von so1chen Ängsten auch bei nicht gestörten Kindern vor kommen. Bei

jedem zur psychotherapeutischen Abklärung geführten Kind finden wir in den Projektionstesten und bei vielen in den Mitteilungen der Eltern Anzeichen für so1che Ängste. Entscheidend ist ihn Quantität und die damit verbundene Stärke der Angstschutz- und Angstabwehrmechanismen in ihrer Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes.

 

Die Störungen und Erkrankungen im Faktorraum (e)

 

Sie sind ebenso mannigfaltig wie die eben erwähnten Ängste. Es han­delt sich hier sicher um eine der wichtigsten und um häufigsten ge­störten "Triebenergiequelle" bei Kindern. Wir haben an anderer Stelle schon erwähnt, wie in der Überich entwicklung das Über-Ich zum Projektionsträger von (e-) und (+e) Affekterregungen werden kann. (Man spricht vom grausamen, unerbittlichen, vom neidischen, rächerischen, mitleidigen usf. Über-Ich.) Die Störungen sind mannig­faltiger Art und können natürlich nicht nur in die Schublade "Affekt­störung" eingeordnet werden. Man denke nur an das Aufstauen von groben Affekten und die damit verbundenen Ohnmachtgefühle und Gefühle der Niedergeschlagenheit, an die Flucht in kleinkindlichen Partizipationsdrang und in Anklammerung, um den Affektdilemmen entgehen zu können, an die Hoffnungslosigkeit, weil man nicht wie­dergutmachen, die töte Mutter nicht wiederherstellen kann oder an den Verlust des Glaubens an einen hilfreichen Vater, der zu jeglicher Machtübergabe unfähig ist und nur unterwerfen und bedrohen kann.

Die im Ich durch Entgegensetzung und Vereinigung zu integrierenden Tendenzen des Bedürfnisses (e):

Faktortendenz e+

Faktortendenz ( e)­-

 

 

 

Mitleidendes Sich-Identifizieren mit dem Verletzten, dem Angegriffenen oder Toten

Auflehnung und Protest gegen Opfersein, gegen schwach, hilfs­bedlirftig und schuldig sein müssen

 

 

Selbsthingabe

Selbstbehauptung

 

 

Heilen von Wunden

Schlagen von Wunden

Wiedergutmachung und Hilfe:

a) aus Reue, Schuldgefühl

b) aus Mitleid oder Barmherzig­keit.

Bedrohung und Haltgebieten:

a) durch Einschüchterung des An­greifers, Unterdrückers, Ver­folgers

b) durch Entmachtung oder Androhung von Tötung derselben.

 ====          Aus     der     Polarität

herausgefallene Gegensätze:

Selbstschädigung.

Fremdzerstörung.

 

Strafbedürfnis.

Fremdschädigung.

Opfertod (den Tod suchen, um unerträgliche Schuld- und Vernichtungsängste loswerden zu können)

 

(unbewusste Todeswünsche, Tötungsabsichten, Tötungsdrang.

 

Das Bedürfnisziel im Wirkungsraum des Faktors (hy)

 

Um was für Energie handelt es sich im Faktor (hy)? Inwiefern umfasst das Bedürfnisziel die zwei gegensätzlichen Affekttendenzen? Wie ist das Bedürfnisziel zu charakterisieren, wenn es nur als die Einheit in der Entgegensetzung der einen Strebungstendenz zur anderen Ten­denz Energiequelle werden kann? Worin stimmen die zwei gegensätz­lichen Bedürfnistendenzen überein, d. h., inwiefern "braucht" das eine Strebungsziel das andere, unter welchen Voraussetzungen "fügt" sich das eine dem anderen?

 

·         Das gemeinsame Bedürfnisziel von "Ju­bel" im Erblicktwerden und von Scheu, Scham und Verweigerung haben wir zu finden. Beide Affektenergien manifestieren sich vom ersten oder zweiten Lebensjahr an.

 

In beiden Affekterregungen geht es um ein Sich-gerettet-{geliebt-) und -geschätzt-Wissen,

·         sei es durch ein Ansehenerregen bei anderen,

·         sei es dadurch, dass das Geliebt- und Geschätztwerden geschützt wer­den soll durch Zurückhaltung, in der Scheu oder durch schamhaftes Sich- Verbergen - um es nicht zu verlieren oder um es als mögliches, künftiges für sich zu erhalten.

Im Zusammenspiel von Scheu, Scham und Jubel und Freude am Erblicktwerden entwickelt sich das mora­lische Empfinden zu Verhaltensweisen und Gefühlen wie

·          Stolz, Mut zum Sich zeigen, Zurückhaltung und Taktgefühl.

·         Im Wechsel zwischen ehrgeizigem Rivalisieren und Zurücktreten und Bewundern der Er­folge anderer;

·         im Mut, seine Gefühle zu zeigen, oder seine Meinung zu sagen wie in der Scheu, dem Schweigen und Verschweigen;

·         im Mut seine Ansprüche zu verteidigen, wie in der Schamhaftigkeit, weil man nicht rücksichtslos, vordringlich oder aufdringlich sein will;

·         in der Freude, das zu zeigen, was man gelernt hat und kann, wie in der Scheu und im Respekt, mit der man vor dem Fremden und Anders­artigen oder Überlegenen zurücktreten kann;

·         im Mitmachen, wenn man auch der Unterlegene sein wird; in der Zuversicht, verscherztes oder verlorenes Geschätzt- und Geliebtwerden zurückzugewinnen oder verschmerzen zu können.

,

In allen diesen Erscheinungen liegt der Drang nach Sich-geliebt- und -geschätzt-Wissen. Im Bereich der groben Affekte stauen und entladen sich die Erre­gungen im Hinblick auf die Möglichkeit, Rettung und Schutz vor Vernichtungsgefahren, vor Schmerz und Pein (vor "existentiellen Angst- und Schrecksituationen") finden zu können. Es geht um ein Gerettetwerden im Sinne von  die epileptiforme Szene)

Es geht um ein Gerettetwerden im Sinne von  -Zuneigung-, Wärme, von Vergebung­ finden und Sich-verstanden-Fühlen (einen Retter, ein "gutes, hilf­reiches Objekt" gefunden zu haben) oder im Sinne von  Rettung durch Entmachtung oder Vernichtung von gefährlichen, mit Vernich­tung drohenden Angreifern. Vernichtungsangst, Vernichtungsdrang, Rettungserlebnisse, Wiedergutmachungsbedürfnis und Versöhnung und Sühne durch Opfer und Sich-selbst-Opfern charakterisieren die epileptiforme Szene. Wiedergutmachungsbedurfnis und Suhne-Opfer einerseits und Aufruhr, Drohhaltung und Vernichtungsdrang anderer­seits sind die zwei gegensätzlichen aktiven Erregungstendenzen. Die Person "selbst" übernimmt die "Sorge" für ihr Errettetwerden. Wei­nen, Schreien, Mitleiderregen und unbewusste Todeswünsche sind die zwei gegensätzlichen passiven Gemütserregungen, bei denen die Ret­tung von Objekten (oder von dem, was ihnen zustossen möge) her er­wartet wird.

                                                        .

·         Im Bereich der zwei hysteriformen Affekterregungen spannen und entladen sich die Emotionen im Hinblick auf Möglichkeiten, Beach­tung zu finden, auf die Bühne des Lebens und der Welt (in der Wirk­lichkeit oder in der Phantasie) treten zu können, mitgenommen zu werden, im bewundernden oder erfreuten Blick von Eltern, Lehrern, Kameraden erscheinen zu können. Es handelt sich um ein mehr oder weniger erregendes "Erlebnis": Jemand zu sein, als etwas Besonderes, Einzigartiges zu erscheinen oder in Verweigerung, Scham und Scheu denjenigen die Treue zu halten, die wir schätzen, achten oder bewun­dert haben. Ihnen soll das Sichzeigen vorbehalten sein.

 

So wie der Säugling durch Freudegeschrei, durch sein Strampeln und Lachen das Erscheinen und Strahlen der Gesichter der Erwach­senen begrüsst und sich begrüsst fühlt, so braucht und lebt auch  das ältere Kind aus dem Selbstvertrauen: Es kann für andere etwas "Gu­tes", Erfreuliches sein, etwas der Zuneigung Würdiges, Schätzens­wertes. Der Glaube an sich selbst als einen "guten",

d. h. begehrten, geschätzten, geliebten Person, das Gefühl, von anderen als eine so1che Person erlebt zu werden und dafür etwas tun können, der Drang sich dieses Geschätzt-Wissens zu versichern, dieser Glaube an sich selbst hat seine Wurzeln in mehreren "Energiequellen". Die eine beruht in der aktiven Form der (+e) Affekterregung, im Wiedergutmachen und Wiederherstellen-Können (und nicht alles beschädigen, zerstören müs­sen), die andere im Mut zu Protest und Auflehnung (e-) gegen Fru­stration und Pein (statt ängstlich vor allem Streit auszuweichen). Im Faktor (hy+) erscheint der Glaube an sich selbst verbunden mit dem Wissen, anderen durch das Können und durch Offenheit und Zuwen­dung Freude bereiten zu können und in dem sicheren Gefühl, durch Zurückhaltung und Scheu und in der Verweigerung dem Geliebt- und Geschätzt werden Sorge tragen zu können. Je älter das Kind und der Jugendliche werden, um so mehr wählen sie selber ihre "Zuschauer" auf der Bühne des öffentlichen Lebens und erweitern mit neuen Fi­guren und Gesichtern die innere Zuschauerbühne.  Der Glaube an sich selbst als einen  "guten", "konstruktiven" Person (so wie der Glaube an gute und hilfreiche Objekte) benutzt "Triebenergien" aus allen vier Affektenergiequellen. Zum Affekt-Vektor (hy) scheint er eine be­sondere Beziehung zu haben.

 

Die sich selbst regulierende Affektdynamik zwischen der (hy-)  und der (hy+) Tendenz bedeutet im Normalbereich, dass man der Situation entsprechend sich zeigen und umgekehrt, dass man von der Bühne ab­treten, sich zurückziehen kann. Voraussetzung für so1che Affektdy­namik ist, dass die Ängste nicht ein für uns unerträgliches Mass über­schreiten. Die Angsttoleranz in diesem Gebiet kann mehr oder weni­ger gross sein. Wer wenig Gefühl von Unfreundlichkeit, Ab- und Weg­gewiesenwerden ertragen kann, wird zu extremer Vorsicht oder über­triebener Freundlichkeit und Höflichkeit gezwungen. Diese treten an die Stelle von Taktgefühl und Zurückhaltung und können den Über­gang in das Zeigen und Sichzeigen erschweren. Wir erwähnten schon, dass so1che Ängste normal, manchmal unvermeidlich und notwendig sind. Erst, wenn sie ein gewisses Mass übersteigen, wirken sie sich störend auf die Entwick1ung des moralischen Empfindens aus. Das, was in diesem Bereich so1che Angstüberwinden hilft, sind die "mora­lischen Tugenden", die die sich selbst regulierende Affektdynamik sichern. Es ist der Mut, sich zu zeigen (man kann es, man hat es ge­1ernt, man ist sich gewohnt . . .). Er ist das Resultat gewagter Selbst­behauptung im Erscheinen, Zeigen und Sich-Zeigen (Man kann pro­testieren, man kann he1fen, wiedergutmachen). Er entspringt der Lust am Ansprechen anderer und Angesprochenwerden. Er schützt vor Geltungsstreben, vor "Ego-trips" und exhibitionistischen Ver­haltensstörungen. Es ist der Mut, den Scheu- und Schamgefühlen treu zu b1eiben, trotz Ironie, trotz Verlockungen und dem Drängen an­derer.

 

Man wird beim Drang zu zeigen, zwei Formen oder zwei Elemente zu unterscheiden

 haben: das Zeigen von "etwas" und das Sich-Zei­gen. Vielleicht ist der Wunsch, das Gesehene, Gefundene, Ge1eistete oder Erworbene den anderen zu zeigen, um es, die "Sache", zur Kenntnis und Anerkennung zu bringen, der ursprünglichere Drang. Das Kleinkind, beim Sprechenlernen, zeigt ihn in der ursprünglichen Form durch das Hinweisen auf "da! da!" und durch das Verweisen der Mutter auf das Ding. In der sich selbst regulierenden Affektdynamik im Faktor( hy ) meint das Zeigen immer auch ein Etwas-Zeigen, ein Etwas, dem ge­genüber unsere Person nicht immer so wichtig ist, zurücktreten könn­te, dem gegenüber sie sich eher als Fürsprecher, als Vertreter fühlt; der Künstler als Fürsprecher seiner Kunst, dessen, was er gesehen, und gehört hat und zeigen will, der Handwerker der Fürsprecher seines Handwerkes und der Gediegenheit und Handlichkeit seiner verfertigten Dinge, die alte tanzende Frau als Fürsprecherin - des Lebens?

 

Im Geltungsdrang und Exhibieren überwiegt der Drang, sich zu zeigen als der Besitzer von Grösse, Macht, Stärke und Privileg. Das Element der Fürsprechung, des Ergriffenseins durch eine Sache, spielt eine geringere Rolle.

 

Im Erleben der Kinder sind das Überfallenwerden von Scheu, Schamgefühlen und Verweigerung und ebenso die Lust am Zeigen und Sich-Zeigen vie1 häufiger und stärker als im Erleben der Er­wachsenen. Kinder können sich schämen, das Gesicht mit den Hän­den verbergen, die Augen schliessen, erröten. Sie zeigen viel unmittel­barer die Freude am Zeigen des Gesehenen, Gelernten, am Zeigen der Produkte ihres Schaffens, die Freude am Auftreten; sie suchen und geniessen ihnen zukommendes Lob und Bewunderung. Im Wech­sel zwischen den gegensätzlichen Emotionen von Auftreten und Zu­-rückhaltung, von Zeigen und Scheu lernt das Kind, was sich schickt, was ihm und andern gefällt und bewunderungswürdig ist.

Als Erwachsene sind wir im Alltag immer in irgendeiner Weise die Erblickten, empfinden es angenehm, Freude erregend, suchen es, seh­nen es herbei, oder wir sind aufgeregt, verwirrt, beschämt, weil wir erblickt worden sind, oder erzürnt, unsere Emotion gezeigt, vielleicht auch nur unsere Meinung gesagt oder nicht gesagt zu haben.

Das Aufgeregt- und Aufgebrachtsein dadurch, da8 wir uns er­blickt, erkannt und so geliebt und geschätzt oder getadelt, kritisiert, zurückgestossen, verachtet fühlen, und die Scheu vor dem Erblickt­werden ebenso wie die Verweigerung vorzutreten, können so tiefe

emotionelle Erregungen wie Mitleid, Zorn, Weinen und Hassen sein. Die Schicksa1spsychologie nennt die Erregungen im Hinblick auf das Erblicktwerden die "feinen" Affekte (die "zarten, erotischen Affekt­kräfte"), im Gegensatz zu den "groben" Affekten. Im Widerspiel der gegensätzlichen Emotionen von Geachtet- und Geschätztwerden und der Scheu, Scham und Verweigerung entwickelt sich (in der Ent­sprechung zum Gerechtigkeitssinn als dem Sinn für das Gute als das Hilfreiche und Gerechte) der Sinn für das Gute als das Schickliche und Achtenswerte. Häufig entwickelt sich der Sinn dafür nicht über das Wissen von Anstand und Anstandsregeln oder über den Mut hin­aus, diesen entgegenzuhandeln, so wie der Sinn für das Gerechte und Hilfreiche sich oft kaum über Empörung und Wut gegen Unrecht hin­aus entwickeln kann.

 

Ein Geschick-Haben im Sinne eines Könnens und Sinn für das Schickliche bedeuten, dass man vortreten und auf­treten kann im Vertrauen auf ein Geschickt-Sein in einer und für eine Sache, dass man etwas zu zeigen hat und zeigen will. Das Schickliche im Sinne des Sich-Ziemenden meint, dass man die Gelegenheit erfasst und weiss, wann es die Zeit ist oder nicht aufzutreten oder ob es der Ort ist oder nicht, das zu tun. Das moralische Empfinden bedeutet nicht Einschränkung durch Reglementierung. Es beruht ursprünglich auf der sich entfaltenden Begierde, etwas zu zeigen, und auf der Scheu als dem Zurücktreten vor dem Achtenswerten oder "Überle­genen". Die Entwick1ung des moralischen Empfindens eröffnet dem Kind und Jugendlichen einen weiten Erlebensbereich, der ihnen (und den Erwachsenen) nur allzu häufig wegen Affektstörungen aufgrund nicht überwundener Ängste verschlossen bleibt.

Die Entwicklungslinie des Faktors (hy), die schon im 6. und 7. Le­bensjahr einsetzende und durch das ganze Leben andauernde über­mässige Tendenz zum Verbergen (hy-: 60 - 80 %) scheint auf einen friih einsetzenden Zwang zur Zurückhaltung der Emotionen hin zu­weisen. Die Angst vor dem Ausgelacht- und Ausgestossenwerden (oder die Angst, nicht konform zu sein) ist überdurchschnittlich gross im ganzen Entwick1ungs- und Lebensverlauf. Die Affekterregung mit dem Zie1, durch das Auftreten, Sich-Äussern und das Zeigen zur Ver­sicherung zu kommen, dass man sich geliebt und geschätzt fühlen kann, ist in den Hintergrund abgedrängt und als Affektenergiequelle von geringer Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung. Der Mut, ein inneres Ergriffensein auf andere wirken zu lassen, die körperli­chen Liebesbezeugungen und das Verlangen, den eigenen Körper aus der Intim- und Privatsphäre herauszustellen, - im Tanzen, Theater­spielen, bei festlichen Anlässen, bei Begrüssug usw. - scheint nicht mit den Bedürfnissen nach Distanz, Sachlichkeit, Durchsetzung, Selbst­beherrschung und Unabhängigkeit zusammengehen zu können. (Zu­gelassene Ausnahmen sind lediglich der Leistungskult im Sport und die kommerzialisierte Show). Das von jedermann vorwiegend ge­wünschte Verhalten in diesem Bereich scheint stark in Richtung von Zuückhaltung, Bescheidenheit, Anpassung oder gar Verheimlichung zu liegen. Das Auftreten und Sich-Zeigen scheint für Ehrgeizige und Selbstsïchtige - unter der Voraussetzung, dass sie ein besonderes Können vorzuweisen haben - oder für konsum- und modetreue Leute und für "Künstler" reserviert zu sein. Die starke Tendenz, im Vordergrund zu verbergen, geheimzuhalten, würde dann im "Hinter­gänger" zur Folge haben, dass eben hier die Bereitschaft zum Gegen­teil in seiner eher verzerrten Form bestehen würde: ein andrängender, verstärkter Geltungsdrang und der Ehrgeiz mit Neigung zum Trium­phieren über Rivalen (Egotrip und Karrierismus), ein Oberspielen jeglicher Empfindung von Scheu.

 

Auf die Ängste im Bereich des Dranges nach Geliebt- und Ge­schätztwerden haben wir bereits hingewiesen. Die Auseinanderset­zung mit ihnen und ihre Bewältigung gehören zur Entwicklung des moralischen Empfindens. Bei der Verstärkung dieser Ängste, die zu Schutz und Abwehrmechanismen führen kann, wie wir sie bei hysteri­formen Symptomen und Verhaltensstörungen vorfinden, können zwei Faktoren eine spezielle Rolle spielen:

·         die Angst vor überstarker sexueller Erregung (die Angst vor dem begehrten Sexualakt und vor Vergewaltigung),

·         die Angst vor beschämender Niederlage im Konkurrenzkampf mit Rivalen, bei dem es darum ginge, der Einzige, Auserwählte, Erko­rene und Gekrönte zu sein.

 

Diese Ängste können die Durcharbeitung der "normalen" Ängste in diesem Bereich erschweren. Jedes Zeigen und Sich-Zeigen wird "un­terlaufen" von unbewussten sexuellen und rivalisierenden Erregungen.

Bei den Verhaltensstörungen, dem Geltungsdrang und dem sexuel­len Exhibieren sind die gegensätzlichen Tendenzen, die Scheu und Schamhaftigkeit nicht mehr realisierbar. Sie sind durch Schamlosig­keit und den Drang zum Triumphieren über Rivalen "blockiert" (Anmassung und Überheblichkeit). Bei übertriebener Schamhaftig­keit, Schüchternheit und Flucht in die irreale Phantasie kann die

Zeige1ust nicht mehr zum Zuge kommen. Die Aufregung, jener eigen­artige Aktivitätsdrang, der dem Zeigen und Auf-die-Bühne-Treten vorausgeht, wird nicht mehr erlebt, macht Angst oder reisst die Per­son in unkontrollierbaren Bewegungssturm, gegen den sie sich schliesslich mit Symptombildung (Zittern, Tics usw.) zu wehren ver­sucht.

Dem sexuellen Exhibieren und dem Geltungsdrang sind Befriedi­gung und Glücksgefiih1 durch Erfoghaben nie für längere Zeit be­schieden. Befriedigungen und Erfolge sind schliesslich nur Ersatzbe­friedigungen (Schutzmechanismen) und bringen lediglich vorüber­gehende Beruhigung gegenüber den hintergründigen unbewussten Sexualängsten und gegenüber der unüberwindlichen Angst vor noch stärkeren Rivalen. Auch die Schüchternheit und übertriebene Scham­haftigkeit führen nicht zu einem Sich-begehrt-, geliebt- und geschätzt ­Wissen. Sie schützen vor der Angst, die eigenen sexuellen Begehren und Geltungsansprüche und die Ängste vor Kritisiert- oder Ausge­lachtwerden usw. sich zuzugestehen oder sie gar zeigen zu müssen. Wenn das Geliebt- und Geschätztwerden nicht mehr auf dem Weg von Scheu und Zurückhaltung und durch freudiges Zeigen und Sich ­Zeigen erreicht werden kann, muss ein Gefühl von Sicherheit und Schutz durch exzessive Verstärkung der einen oder anderen Bedürf­nistendenz gesucht oder durch Symptombildung von der Umwelt er­zwungen werden (Hustenanfall, Magenweh, Szenenmachen).

 

 Durch geeignete Berufswahl, durch "Sozialisierung im Beruf" und Förde­rung von hysteriformen Berufsneigungen (Szondi, 1960,42) können die Ängste in dem einen wie in dem anderen Strebungsbereich ver­mindert und die Angstbewältigungsversuche gefördert werden. Sol­che Sozialisierung im Beruf gibt nicht nur Schutz vor überstarker Er­regung von zärtlichen und sexuellen Erregungen und vor Geltungs­sucht und so Schutz vor hysteriformen Verhaltensstörungen und Symptomen. Sie macht den Weg zu echter Angstbewältigung im

ent­sprechenden Bedürfnis- oder Strebungsbereich und zu besonderem Können möglich. (In der Psychoanalyse wird solche Berufswah1 als eine Neurotisierung des Berufsverhaltens, als eine Kompromissbil­dung im Sinne einer neurotischen Symptombildung gesehen; was sie sein kann aber nicht sein muss.) Ein schönes Beispiel, wie in diesem Bedürfnisbereich Konflikte, Ängste, Angstbewältigungsversuche, Schutz- und Abwehrmechanismen erlebt werden, liegt in der Auto­biographie von Charlie Chaplin vor.

Die Angstbewältigungsversuche sind immer mit dem Bewusstwer­den der diesem Raum zugehörigen Ängste verbunden und mit dem Entdecken, dass es auch andere oder einfachere Wege gibt, sich des Sich-geliebt- und geschätzt-Wissens zu versichern. So wie man seine Gegner und Feinde nicht immer gleich zu vernichten oder zu ent­machten und zu erschrecken braucht, so braucht man Liebe und Sich-geschätzt-Wissen nicht mit Wichtigtun, mit sexuellem Exhibie­ren oder mit Lügengeschichten zu erbetteln oder durch Bravsein und Unterwerfung zu ergattern.

Die häufigste Affektstörung im Faktorbereich (hy+) bei Kindern zeigt sich im Bestreben, im Zentrum der Aufmerksamkeit der Mutter oder der Eltern zu stehen, und im neidischen Rivalisieren mit Ge­schwistern oder dem einen oder anderen Elternteil und in der Ver­leugnung und Abwehr dieser Bestreben. Die dabei aktivierten und schwer zu ertragenden und zu kontrollierenden Affekterregungen beruhen auf der Schwierigkeit, den Schmerz zu ertragen, der sich für jedes Kind ergibt, wenn es den Verlust der privilegierten Stel­lung (der Einzige und Umhegte zu sein) bei der Mutter oder bei den Eltern zu verwinden hat. Es wird sich von diesem Schmerz nur "erholen" können, wenn es ihm schliesslich gelingt, jene Zuneigung und Hilfe bei den Eltern zu finden, die seine Aktivitäts- und Selb­ständigkeitsansprüche unterstützen, wodurch es für sie nicht mehr zum Einzigen und Privilegierten, sondern zu jenem einzigartigen und besonderen Wesen wird, das es ist und werden wird. Es wird zuwei­len zwar so1che Illusion (der Einzige und Privilegierte zu sein) noch brauchen. Aber mit der Zeit wird es sich seiner Einzigartigkeit als Person (Glaube an sich selbst) so versichert haben, dass es so1che regressive Sehnsuchtswünsche verschmerzen und vergessen kann. Die Art und Weise der Verwindung werden seinen Charakter, den Entwicklungsgang im Hinblick auf Entfaltung, Hemmung und Stö­rung entscheidend mitbestimmen.

 

Die Ängste im Affektbereich

 

Wir stellen hier die verschiedenen, zum grossen Teil schon erwähnten Ängste, nach den vier Affektstrebungen eingeteilt, zusammen. Die Liste könnte erweitert und korrigiert werden. Manche erwähnten Ängste haben sicher auch einen Bezug zu anderen Bedürfnissen und

Bedürfnisstrebungen. Vor allem ist zu bedenken, dass die Ängste der zwei gegensätzlichen Faktortendenzen häufig ineinander übergehen oder aufeinander folgen können.

 

Affekttendenz (e+)

 

Angst,

·         andere zu verletzen oder zu töten, weswegen sie 1eiden, traurig werden (sie könnten sterben, verunglücken), böse, gefährlich, könnten rächerisch werden.

·         vor überstarker Erregung und Stauung von groben Af­fekten.

·         Angst, nicht wiedergutma­chen, nicht wiederherstellen zu können, alles kaputt machen müssen.

 

Schutz:

·         durch Hemmung aller Feindseligkeitsgefühle.

·          durch Reaktionsbildungen (Bescheidenheit, Gutmütig­keit),

·          extremes Wiedergut­machungsbedürfnis.

·         extremes Erregen von Mitleid und Fürsorge.

·         extremes Sich ­Identifizieren mit Opfern und Toten.

 

Angstbewältigung:

 Schutz und Rettung vor Verlust von Hilfe und Mitleid können durch

  • Bitten und Fragen,
  • durch die Fähigkeit, Sorgegefühle für andere empfinden zu können, und
  • durch Wiedergutmachungs­bedürfnis gefunden werden.

 

Affekttendenz (hy+)

 

Angst,

·         nicht beachtet, vergessen, übergangen zu werden, nicht dabei sein, nicht mitmachen, nicht auch auf die Bühne des Lebens treten zu können.

·         nicht mehr der Einzige, Auserwählte, Bevorzugte, Um­hegte zu sein.

·         der Unterlegene im Konkurrenzkampf zu sein, aus der Szene, von der Bühne ver­trieben zu werden

·         im sexuellen Bereich nicht Beachtung zu finden, nicht begehrt zu werden.

 

Schutz:

  • Sich bei jeder Gelegen­heit vordrängen im Bereich von Geltung, Ehrgeiz und Sex­ erfolg.

 

Angstbewältigung:

  • etwas zeigen können, allein oder mit andern zusammen Mitmachen, auch wenn man der „Unterlegene" ist.
  •  Lust am Ansprechen und angesprochen werden.

 

 Affekttendenz (e)­

 

Angs:,

·         unterdrückt zu werden, zu kurz zu kommen, ver1etzt, angegriffen, getötet zu werden.

·         das Liebesobjekt werde einem geraubt.

·          das Opfer anderer zu sein, benachteiligt zu werden, ausgenutzt zu werden, wehrlos ausgeliefert zu  sein.

 

Schutz:

  • durch exzessive Ent­ladung von groben Affekten (Affektausbrüche) um einzu­schüchtern, zu überraschen, zu bedrohen.

 

Angstbewältigung:

  • Kundgabe von Unzufriedenheit in Protest, Auflehnung, Aufruhr und Verhanden der Affekterre­gungen (der Ängste und des Schmerzes, statt Aufstauen und p1ötzliches Ausbrechen).
  • Auflehnung und Protest gegen unberechtigte Zuweisung von Schu1d oder gegen mit1eidiges Behandeltwerden

 

Die typische Angst im Bereich des e Bedürfnisses ist: die Angst vor Krieg, Ung1ück, Absturz, vor Verbrennen, Erwürgt, ersch1agen, getötet zu werden

 

Affekttendenz( hy-)­

Angst:

·         ausge1acht, verachtet, b1ossgestellt, verurteilt, kritisiert zu werden,

·         Angst vor Entdeckt­werden,

·         Strafangst,

·         Unerwünscht, indiskret, voreilig und doch unerfah­ren aufzutreten, auf der Bühne zu versagen.

·         Sich an andere zu verkaufen (ihr mit Stolz vorge­zeigtes Objekt zu werden).

·         Angst vor überstarker Erregung von zärtlichen Emotionen, vor rivalisierender Einstellung.

 

Schutz:

  • durch Reaktionsbildun­gen (übertriebene Schamhaftig­keit, Schüchternheit usw.), durch Verstellung, Verheim­lichung.

 

Angstbewältigung:

  • Scheu und Schamgefüh1e zulassen können, sich verweigern können (den andern einen Gefallen nicht tun, "nein" sagen können)

 

­Die typische Angst im Bereich des (hy) Bedürfnisses ist:

  • Angst vor Ausgestossen- und Verachtet­werden, von der Bühne des Lebens verstossen oder abge­trennt worden zu sein

das Triebziel "Schutz und Rettung" vor Gefahrsituationen im Affektvektor, vor Krieg und Unfrieden und vor Verurteilung und Ausschluss liegt sowohl den normalen, den gestörten wie den patho­logischen Verhaltensweisen zugrunde.

  • Bei Normalität wird die Angst als Stimulanz erlebt. Sie stimuliert den Helferwillen, das Bitten, die Auflehnung und den Protest, das Auftretenwollen oder die Zurück­haltung und die Verweigerung.
  • Bei Störung schützt man sich vor Angstentwicklung durch exzessive Verstärkung einer  Affekttendenz (Auftreten mit groben Affekten, Gutmütigkeit usw.) und
  • im patho­logischen Verhalten führen bestimmte Ichabwehr Mechanismen zu­sammen mit bestimmten Teilungsweisen im Affektvektor zu Ent­wicklungshemmung, Symptombildung und Erkrankung. Beim Vor­walten von Schutz- und Abwehrmechanismen erscheint der Drang nach Schutz und Rettung in schwer verständlicher und oft nicht ein­fühlbarer Weise (Störung und Erkrankung befremden und entrlisten).

 

Bemerkungen zum Triebziel des Paroxysmaltriebes

 

Die zwei Bedürfnisse (e) und (hy), die je zwei Bedürfnisstrebungen ver­einigen und einander entgegensetzen, "verschränken" sich ihrerseits zu einem Triebziel. Durch dieses sind die Bedürfnisziele einander entgegengesetzt und zugleich miteinander verbunden. Worin beruht aber der Gegensatz zwischen den Bedürfnissen, und inwiefern "brau­chen" sie einander, und warum ermöglicht ihnen das gemeinsame Ziel das Sich-einander-Fügen?

Zwei Ideen werden in der Schicksalspsychologie mit dieser Bedürf­nispolarität und mit dem einheitlichen Triebziel in Verbindung ge­bracht:

 

1.       Sie nimmt an, "dass Faktor (e) und (hy) demselben Triebziel, nämlich dem der Rettung der Person aus einer existentiellen Gemütsgefahr diene" (Szondi, 1960, 114). Es geht in beiden Bedürfnisbereichen um Rettung und Schutz vor gefahrbringenden Affektstauungen. Die Person schützt sich durch Überraschungsbewegungen wie Sich­-tot-Stellen, Bewegungssturm, Farbenwechsel vor Gefahren wie Totschlagen des Feindes, Getötet-werden, vor Verurteilt-, Geta­delt-werden, vor überstarker Erregung von sexuellen Begehren und Geltungsansprüchen.

2.       Ferner sieht sie das gemeinsame Ziel beider Bedürfnisse in der

3.       "Regelung des ethisch-moralischen Verhaltens" (29). Einerseits bringt der Drang zur Wiedergutmachung von Todeswünschen und Tötungsgedanken das "innere Gesetz: Töte nicht“ zur Geltung", andererseits führt die Verinnerlichung von Sitten und Gebräuchen, von dem, was geschätzt und gelobt, kritisiert und verurteilt wird, zur Übernahme von "Scham- und Ekelschranken" und bestimmt somit, was wir zu verbergen und zurückzuhalten haben und was wir und in welcher Form wir uns zur Schau stellen dürfen.

 

Unsere schon angedeuteten Überlegungen zum (gemeinsamen) Ziel des Paroxysmaltriebes gehen in derselben Richtung. Wir haben die zwei Bedürfnisziele bestimmt als

  • Drang nach Schutz und Rettung durch Sich-befriedet-Wissen ¡und als
  •  Drang nach Schutz und Rettung durch Sich-geliebt-und­ geschätzt-Wissen.

Inwiefern stehen nun diese zwei Bedürfnisse in einem gegensätz­lichen Verhältnis zueinander? Wie verläuft die Affektdynamik im Zusammenspiel der vier Affektenergien, wenn das gemeinsame Trieb­ziel sowohl die Entgegensetzung wie das Zusammenspiel (Sich-fügen) der beiden Bedürfnisse möglich machen soll? Aus der Entgegenset­zung und Verbindung von Hilflosigkeit, Mitleid und Aufruhr, von Dulden und Unerbittlichkeit mit dem Jubel im Erscheinen und Sich ­Zeigen und der Scheu und Verbergung entwickeln sich die Vielfalt und der Reichtum menschlicher Gemütsbewegungen. Im gegenseiti­gen Siche-einander-Fügen und Einander-entgegentreten der Strebungs­tendenzen entwickeln sich der Gerechtigkeitssinn und der Sinn für das Schätzens- und Beachtenswerte (das Schickliche).

 

Wie aber sind Entgegensetzung und Vereinigung der beiden Bedürfnisziele zu ver­stehen?

 

Die Bedürfnispolarität im Paroxysmaltrieb

 

Das Bediirfnisziel: e

 

Schutz durch Rettung: Sich-Befriedet –Wissen,

Vernichtungsgefahr

Todes- und Tötungsängste

Überleben, Lebenserhaltung

Sühne und Opfertod

Aufruhr und Bedrohung von Objekten

Identifizierung mit leidenden, sterbenden Opfern

 

 

Das Bedürfnisziel:( hy)

Schutz durch Sich- geliebt als Sich-geschätzt- Wissen.

Angst vor Liebesverlust (von Zuneigung und Beachtung.

Sexuelle Ängste und Angst vor unerbittlichem Konkurrenz­kampf.

Mehr als Leben, Lebenssteigerung

Erscheinen im Glanz und Pracht oder in Ruhm und Ehre.

Beachtung und Zuneigung von Autoritäten und geehrten und bewunderten Personen erreichen.

Identifizierung mit den in Herrlichkeit erscheinenden (äusseren und verinnerlichten) Figuren.

 

Die Entgegensetzung und die Zusammengehörigkeit der zwei Bedürf­nisse sind in dieser Begriffstabelle nur angedeutet. Die Zusammen­gehörigkeit könnte bedeuten, dass es Lebenssteigerung nicht ohne Lebenserhaltung und Lebenserhaltung nicht ohne Lebenssteigerung gäbe. Ihre Einheit wäre die Rechtfertigung der Existenz gegenüber dem vermeidbaren Schmerz (Der Mensch will, kann und soll vor Ver­nichtungsgefahr gerettet werden. Befriedung ist möglich.) und gegenüber unvermeidbarem Tod (Nur einmal gelebt aber das Leben in Glanz und Pracht und im Erstrahlen erlebt zu haben). Was Einheit und Entgegensetzung, Siche-einander-Fügen und Auseinandersetzung innerhalb einer so1chen Bedürfnispolarität, was Vermischung (Kon­fusion) und unversöhnlicher Gegensatz genauer zu bedeuten häften, wiirde eine sorgfältigere Erfassung und Vertiefung der angedeuteten Strebungs- und Bedürfnispolarität voraussetzen.

 

 

Hier folgen die erste vier  (Befriedung= Pacification, not satisfaction)

Die folgenden Überlegungen zur Psychologie des Paroxysmaltriebes entspringen dem Versuch, das schicksalspsychologische Triebsystem ein Stück weit so auszubauen, dass es auch für die tiefenpsychologi­sche Entwicklungslehre "brauchbar" werden kann. Bedürfnistenden­zen, Bedürfnis- und Triebziele sind zwar zu einem grossen Teil in der Sprache der Pathologie formuliert und von biologischen Gesichts­punkten her definiert worden. Die Einzigartigkeit (Originalität) die­ses Systems beruht aber darin, dass damit der berechtigte und zu ei­nem grossen Teil erfüllte Anspruch vorliegt:

 

Ein allgemeingültiges Be­dürfnissystem der menschlichen Psyche und ein System ihrer grund­legenden, Schicksal bestimmenden Konflikte zu errichten; ein System, das gleichzeitig die Ordnung darstellen soll, aus der heraus Erkrankung, Erkrankungsrichtung und Krankheitsbild durch die ihnen jeweils zugehörigen allgemein menschlichen, gegensätzlichen Bedürfnisse und ungelösten Konflikte verstanden werden können. Es sind nicht beliebige (polare) psychische Gegensätze, die hier in ein Ordnungsschema verschachtelt sind, sondern solche, durch die  sowohl Entwicklung, Reifung wie Erkrankung verstehbar werden.

 

Das dialektische Denken in der Schicksalspsychologie steht so vor einer doppelten Gefahr und Schwierigkeit:

l. Die für die Pathologie gültigen Begriffe dürfen nicht einfach in den Bereich der allgemeinen tiefenpsychologischen Lehre von den ge­gensätzlichen Bedürfnisstrebungen und Trieben übertragen wer­den.

2. Triebdialektik und die polaren gegensätzlichen Bedürfnisse und Strebungen sind jeweils anderer Art, je nachdem, ob wir es mit

a)      entwicklungsfördernden Konfliktlösungen oder  mit

b)      entwicklungs­hemmenden Störungen oder

c)      krankmachenden Scheinlösungen zu tun haben.

 

Wir dürfen nicht übersehen, dass das schicksalspsychologische Triebsystem noch viele Lücken und Frag-Würdigkeiten enthält, vor allem im Hinblick auf die uns zur Gewohnheit gewordenen Begriffe und auf die Bestimmung der Bedürfnis- und Triebziele.

Wie ist denn z. B. das Bedürfnisziel im Faktor (s) zu bestimmen, wenn es im Normalbereich die Polarität, die Einheit der beiden Stre­bungstendenzen enthalten soll? Etwa als Sadomasochismus? Worin stimmen denn die Tendenzen (s+) und (s-) überein?

Kann das Triebziel im Kontakttriebbereich definiert werden als die Einheit von "auf die Suche gehen nach neuen Objekten" und "sich anklammern können", um beim Abgestossenwerden vom Ob­jekt wiederum auf die Suche gehen zu können? Wird damit das Trieb­ziel nicht durch die blosse Verbindung von zwei Bedürfnistendenzen (d+, m+) charakterisiert? Sind die Tendenzen (d-, m-)  für das Trieb­ziel im Kontakttriebbereich nicht von grundlegender Bedeutung?

Inwiefern bilden die Bedürfnisse (e) und (hy) eine Einheit, haben sie ein einheitliches Triebziel, und wie ist es im Normalbereich zu defi­nieren? Als die Einheit des ethischen und moralischen Bedürfnisse des Menschen? Was soll das für eine Einheit sein? Inwiefern stehen diese zwei Bedürfnisse in einem polaren Gegensatz? Inwiefern treten sie auseinander, einander gegenüber und bilden doch eine Einheit, so dass sich das eine dem anderen zu fügen hätte und sie sich schon im Auseinandertreten eben brauchten?

 

Szondi hat in einem seiner letzten Beiträge nach einmal versucht, sich über das Denken der Polarität und der Gegensätze im psychi­schen Erleben, von philosophischen und psychologischen Gesichts­punkten her gesehen, Rechenschaft zu geben. Die Schwierigkeit be­steht darin, die Einheit der Gegensätze zu denken. Nicht jeder Ge­gensatz ist ein polarer Gegensatz. Die Einheit kann nicht als ein blo­sses Ausgleichen, als blosser Kompromiss verstanden werden. Sie kann nicht mit Begriffen wie Gleichgewicht (Es müssen eben beide berück­sichtigt werden!), Umschlagsfähigkeit, Vermischung und Entmi­schung gedacht werden. Die Einheit bedeutet auch nicht Auflösung , der Gegensätze in eine höhere Einheit. Denn die Einheit ist ja das, was eben gerade den Gegensatz, das Auseinandertreten ermöglicht und nicht das, was Gegensatz aufhebt oder ausgleicht. Gegensätze gibt es überall, und sie können mannigfaltiger Art sein. Die Schwierig­keit ist, die Polarität zugleich als das Vereinigende und als das Entge­gensetzende zu denken. Polaritäten können in den verschiedensten Weisen "zerbrechen". Die häufigste Art und Weise ist die Verfla­chung und Entleerung der Gegensätze in bloss mechanische Zusam­menstücken der zur Selbstverständlichkeit gewordenen Gegensätze.

Die Polarität denken heisst, das Eine als das sowohl Vereinigende 

wie als das die Entgegensetzung Fordernde denken. Das Eine (das Trieb- oder Bedürfnisziel) ermöglicht sowohl das Auseinandertreten wie das gegenseitige Sich-Fügen des Gegensätzlichen.

 

 Die Polarität denken heisst, die Frage sich stellen, worin die Gegensätzlichkeiten übereinstimmen, inwiefern sie in der Entgegensetzung einander brau­chen, so dass das eine sich dem andern fügen kanu, eben im Hinblick auf Zu-ge-hörigkeit, von der gesagt wird, dass sie beide sowohl in die Entgegensetzung wie in die Zuwendung verfüge. Das eine ist der Be­reich, in dem die Streitenden zusammenkommen. In ihm geht es um das "Strittige", wenn z. B. der HaB sich dem Versöhnungsbedürfnis gegenüber, die Treue der Untreue, das Sich-Abtrennen dem Sich-An­klammern gegenüber zu behaupten haben oder umgekehrt.

 

Es stellt sich auch die Frage, ob die Bedürfnis- und Strebungs­polaritäten (Bedürfnisziele und Triebziele) unabhängig vom Problem der "Integration der Strebungen und Bedürfnisse ins Ich" erörtert werden können. Ausserdem werden wir oft von der Frage bedrängt, welcher Zusammenhang denn zwischen Entwicklungsziel im jeweili­gen Faktorbereich und dem Bedürfnisziel und Triebziel besteht. Wie verhält sich z. B. die Entwicklung zum Gerechtigkeitssinn zum "triebhaften ethischen Drang" im Faktorraum (e)? Sind beide, das Entwicklungsziel und das Bedürfnisziel, aus dem polaren Gegensatz der zwei Bedürfnisstrebungen (e+ und e-), aus ihrer Einheit zu ver­stehen? Inwiefern treten sie in die Entgegensetzung und brauchen und fügen sie sich einander?                 

 

Martin Achtnich: Der Berufsbilder Test

Projektives Verfahren zur Abklärung der Berufsneigung

Verlag Hans Huber Bern Stuttgart Wien

 

Zu diesem Buch:

 

Motivationen, Interessen, "Neigungen" abzuklären und herauszufinden ist seit jeher einer der schwierigen und widerspruchsvollen Aspekte im berufsberaterischen Alltag.  Offensichtlich bewähren sich diejenigen neigungsdiagnostischen Verfahren am besten, die aus der Küche von berufsberaterischen Praktikern stammen.  Auch der hier vorliegende Berufsbildertest von Dr. Martin Achtnich entstand in jahrelanger Forschungsarbeit, zunächst durch den Autor allein, später unter Beziehung von Kolleginnen und Kollegen. 

 

Die konsequente Verwendung der Szondi-Systematik als Grundlage bietet einen neuartigen Ansatz, ebenso die fotografischen Aufnahmen aus der Berufswelt.

 

 Der Berufsberater erhält damit ein Instrument zur Neigungsabklärung, das den Rahmen des Sprachlichen sprengt und zusätzliche Wahrnehmungsbereiche erfasst: wohl Gründe für die recht grosse Verbreitung, welche die Vorfassung des Tests in der schweizerischen Berufsberaterschaft bereits gefunden hat.  Die Bilder haben einen unmittelbaren Aufforderungscharakter, erlauben eine gleichsam "spielerische" Testsituation, sprechen auch gehemmte und im sprachlichen Ausdruck ungeübte Klienten an und können, im Gegensatz zu vielen anderen Neigungstests, auch bei fremdsprachigen Probanden verwendet werden. 

 

Die Konfrontation mit den eigenen Bilderwahlen und die Auseinandersetzung damit ermöglichen dem Probanden eine rasche Übersicht und Einsicht in seine eigene Interessenstruktur und machen allfällige Widersprüche deutlich.  So kann das Verfahren dem Testleiter als ausgezeichnete Gesprächsgrundlage dienen.

 

Ein kurzer Blick in das Buch lässt schon ahnen, wie vielschichtig und oft eng verknüpft mit der jeweiligen persönlichen Eigenart des Klienten sich die Welt der Neigungen und Motivationen darbietet und wie sehr es notwendig ist, diesen komplexen Sachverhalten ein differenziertes und breit angelegtes Instrument zur Diagnostik gegenüberzustellen.  Hier nun liegt ein solches vor, das - gestützt auf ein theoretisches Konzept und eine wissenschaftliche Normierung - dem an der Erfassung der Berufsneigungen interessierten Psychologen und Berufsberater nützliche Hilfe leisten wird.

 

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© 1996-2002 Leo Berlips, JP Berlips & Jens Berlips, Slavick Shibayev